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Schneider, Karla:
Der Sommer, als ich Filmstar war
München: dtv (Reihe Hanser) 2010
368 Seiten
€ 8,95
Ab 12 Jahren
Übergangsbuch

Schneider, Karla: Der Sommer, als ich Filmstar war

Nahaufnahme: Die 1950er

von Nana Wallraff (2010)

Als die fast vierzehnjährige Wilhelmina Schlee aus dem Schullandheim nach Hause kommt, wird sie an der Haustüre von einem fremden Kind „mit rotem Ausschlag auf den Backen und Rotzglocke in der Nase“ überrascht. Die brutale Realität: Ihr geliebter Stiefvater hat die Wohnung der Familie für Spielschulden verpfändet und ist abgetaucht, ihre Mutter löst in einer fremden Stadt die Wohnung der sterbenden Großmutter auf, und der „hässliche Zwerg“ im Türrahmen gehört zu der fremden Familie, die nun in ihrer Wohnung lebt.

Wilhelmina weiß nicht, wie ihr geschieht, geschweige denn, was sie nun tun soll. Nur widerwillig gewähren ihr die unsympathischen neuen Hausbewohner Asyl wenigstens für eine Nacht, während ihre Mutter telefonisch nach Hilfe sucht. Am nächsten Morgen verkündet sie die Lösung: Wilhelmina soll vorübergehend bei ihrem leiblichen Vater wohnen, von dessen Existenz sie bislang nicht den leisesten Schimmer hatte. Mit 50 Mark und einem Koffer voller Schmutzwäsche besteigt das Mädchen den Zug in ein anderes Leben.

Der Vater entpuppt sich als bekannter Theaterregisseur, der ein exzentrisches Künstlerleben führt. Durch Zufall trifft Wilhelmina einen Filmregisseur, der sie für seine Verfilmung des „Pan“ von Knut Hamsun als Ersatz für die ausgefallene Hauptdarstellerin engagiert. Ihr Weg führt sie bis nach Norwegen, wo sie im Laufe des Sommers das Leben am Filmset kennenlernt und den Dreh eines Kinofilms von der ersten bis zur letzten Klappe erlebt.

Die Geschichte spielt in der Mitte des letzten Jahrhunderts. Mit beeindruckender Detailfülle beschreibt die Ich-Erzählerin ihre Welt und schafft so ein Bild der Zeit. Petticoats, Sinalco, das „Doppelte Lottchen“, Louis Prima – Wilhelmina schildert und kommentiert, was sie sieht und erlebt, und es ist der Zeitgeist der 1950er Jahre, der sie umgibt. Chronologische Ungereimtheiten, die dabei das gesamte Buch durchziehen, fallen erst auf den zweiten Blick auf. Getreu dem Motto: Was nicht passt, wird passend gemacht, trällert die zu Kriegszeiten geborene 13-jährige Protagonistin z. B. Schlager von 1962. (Man rechne selber.) Aber schließlich haben wir es bei Karla Schneiders neuestem Werk mit einem Unterhaltungsroman zu tun, und da sollte man hinsichtlich der historischen Genauigkeit vielleicht nicht allzu pingelig sein.

„Der Sommer, als ich Filmstar war“ ist eine Hommage an die Popularkultur der Nachkriegszeit und vor allem die Filmindustrie . Schneider führt hinter die Kulissen, gibt Einblicke in die Arbeit am Set. Ob Stellprobe oder Nahaufnahme, Filmstars oder Lichtdoubles – alles ist neu für Wilhelmina, und im Laufe eines Sommers eröffnet sich ihr das ganze Universum Film. Dabei trägt Schneider mitunter sehr dick auf und verschafft ihrem Roman so unnötige Längen.

Dass die Autorin sich an der „Pan“-Verfilmung „Aller Nächte Sehnsucht“ von 1962 mit Bibi Anderson in der Hauptrolle orientiert hat, kann hier nur vermutet werden. Dies liegt jedoch nahe, da Schneider ihre Protagonistin immer wieder die literarische Vorlage des Drehbuchs interpretieren lässt. Dabei geht das Mädchen mitunter völlig in ihrer Rolle – Edvarda – auf und schildert Passagen ganz aus deren Perspektive. Gelegentlich wirkt die Protagonistin dabei doch recht altklug, zu gebildet, zu belehrend. Wilhelmina selbst bemerkt über Edvarda: „Von wegen fünfzehn, wie im Buch behauptet wurde! So wie sie beschrieben wurde, hätte sie auch fünfundzwanzig sein können. Aber vielleicht waren die Fünfzehnjährigen damals so alt.“ Gleiches gilt für Wilhelmina.

Schneider zeigt auch die Schattenseiten des Filmgeschäfts: Zurück in Deutschland, gerät das Mädchen an eine ebenso profitgierige wie skrupellose Agentin, die in ihr ein gutes Geschäft wittert und sie erst über den Tisch zieht und dann an einen schmierigen Schundproduzenten verhökert . Wilhelmina entschließt sich zur Flucht, doch der wiederaufgetauchte Stiefvater ist bereits auf dem Weg zu ihrer Rettung. Nicht immer kann dieser Teil der Geschichte seine Nähe zum Kolportageroman leugnen.

„Der Sommer, als ich Filmstar war“ ist die Geschichte eines Mädchens, das den Sommer seines Lebens erlebt. Im Verlauf ihrer Reise erlebt Wilhelmina eine Traumwelt und stößt an die Grenzen von Schein und Sein. Die Autorin zeigt ihren Leserinnen und Lesern die Welt der späten 50er Jahre. Ungeübte Leserinnen und Leser könnten allerdings in Anbetracht des Umfangs und der Liebe zum Detail an ihre Grenzen stoßen.

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