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Hegemann, Helene:
Axolotl Roadkill
Berlin: Ullstein 2010
204 Seiten
€ 14,95
Ab 15 Jahren
Junge Erwachsene

Hegemann, Helene: Axolotl Roadkill

Ein Abbild des Teufels*

von Andre Kagelmann (2010)

„Draußen sind alle ohnmächtig.“ Dieser Satz aus „Axolotl Roadkill“ antizipiert gewissermaßen die hysterisch-polemische Medien- und Marketingschlacht, die um den Roman tobt: Zunächst versuchen alle großen und namhaften Blätter, das in mancherlei Hinsicht erstaunlich gelungene Debüt der siebzehnjährigen Helene Hegemann in den ganz aktuellen literarischen Pantheon zu hypen: Der Fahrstuhl zur Weihehalle trägt die Aufschrift „Preis der Leipziger Buchmesse“. Dass aber die Autorin stellenweise plagiiert hat, hauptsächlich aus Airens „Strobo", passt kaum in die (übrigens nicht literarische) Kategorie der Authentizität, die „Axolotl Roadkill“ kritikerseits begeistert übergestülpt wurde: Das Werk zeichne gewissermaßen ein radikal wirklichkeitsgetreues Bild der Zeit, so der Tenor. Daraus folgen nun zwei entgegengesetzte Reaktionen: Die einen verteidigen die von Hegemann plagiierten Stellen als Belege für einen – wie auch immer – aufgebrochenen bzw. erweiterten Literaturbegriff (man beachte aber die Einlassungen des Verlages, der ja urheberrechtlich Geld verdienen muss). Die anderen verdammen Hegemanns Erstlingswerk in Bausch und Bogen, weil sie nicht richtig zitieren kann und sich dann auch noch merkwürdig uneinsichtig diesbezüglich äußert; Zweifel am literarischen Wert kommen dazu.

Einfach liegt der Fall zunächst bezüglich der inkriminierten plagiierten Passagen: Hegemann hat zitiert, ohne die Zitate als solche kenntlich zu machen; das ist zwar durchaus – im Sinne von Genette – intertextuell, aber eben auch geklaut. Ob man hier die junge Schriftstellerin einfach verbessern oder besser ganz niedermachen sollte oder aber vielleicht doch bei ihrem Verlag an- bzw. ihr mit hohem kulturellem Kapital ausgestattetes Umfeld abklopfte, ist ein anderes Thema.

Schwieriger zu beantworten ist jedoch Frage, was literarisch dran ist an diesem Werk, bei dem es sich um einen teilweise in Tagebuchform verfassten Adoleszenzroman handelt – und was überhaupt ein „Axolotl Roadkill“ sein soll. Der Axolotl ist „ein nachtaktiver mexikanischer Schwanzlurch aus der Familie der Querzahnmolche (Ambystomatidae), der gewöhnlich nur in neotener, larvenähnlicher Form auftritt“ (Wikipedia); bei Hegemann wird er noch dazu überfahren („Roadkill“). Insofern enthält der Titel die Geschichte in nuce: Ein scheiterndes, zumindest verzögertes Erwachsenwerden wird intellektuell verzerrend-überhöht und verrätselt dargestellt. Denn erwachsen werden, das will Mifti, die sechzehnjährige Ich-Erzählerin, nicht, jedenfalls tut sie alles, um sich einer Entwicklung zu entziehen: Sie läßt sich schulflüchtig treiben, durchlebt ein von Drogenekstasen, -abstürzen und schnellem Sex geprägtes Oberflächendasein, nah am ach so hippen Hauptstadtpuls der Zeit, fern von menschlichen Bindungen, weil gar keine Menschen auftauchen, nur Puppen, das Markenlabel als Ausweis angeblicher Überlegenheit auf der Brust: „Axolotl Roadkill“ spiegelt so emotionale und soziale Verwahrlosungstendenzen im Milieu der Berliner Kulturelite – und die Protagonistin scheitert an und in diesem Milieu, auf sich allein gestellt, hoffnungslos überfordert, einsam, auf der Suche nach ihrem Leben. Zum Stolpern durch diese kalte, mitunter geschmacklose und irritierende Welt gehört es, dass die Ich-Erzählerin die eigene harte und schnelle Sprache abklopft. Und diese Sprache hat es mitunter in sich: Die unzusammenhängenden, mithin unzuverlässig erzählten Handlungsfetzen werden poetisch aufgeladen, wenn hektische, allerdings ausufernde dissoziative Passagen mit reflexiven, zum Teil tiefgründigen Kommentaren, aber auch Leerphrasen montiert und verschnitten werden; doch Mifti scheitert auf dem Weg zu sich selbst, oszillierend zwischen Narzissmus und Selbsthass, kommt nirgends an, denn die große Hure Berlin schert sich nicht um das Stimmengewirr im Kopf einer Sechzehnjährigen – jedenfalls nicht im Roman.

Geeignet für alle zwischen 15 und 21 und dann wieder ab 50 Jahren.

*Zitat von Seite 204. Dieses wiederum ist eine nicht nachgewiesene Entlehnung aus dem Song „Fuck U“ vom Album „Noise“ (2004) der Trip-Hop- und Progressive-Rock-Band „Archive“.

Leseprobe