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Marjaleena Lembcke:
Die Füchse von Andorra
München: Nagel & Kimche 2010
128 Seiten
€ 12,90
Ab 9 Jahren
Kinderbuch

Lembcke, Marjaleena: Die Füchse von Andorra

Auf der Suche nach dem Warum

von Friederike Verfürth und Lilli Föhres (2010)

Das wilde Leben in einer deutschen Großfamilie kennt die zehnjährige Sophie nur allzu gut, sogar besser. Denn sie ist die Erstgeborene von Vierlingen. Auf Kathrin Schärers Umschlagillustration zu dem neuen Kinderroman von Marjaleena Lembcke „Die Füchse von Andorra“ sitzen die Geschwister mit dem Rücken zum Betrachter. Jonathan ist der kluge Kopf, Felix der große Nimmersatt, und Frederike ist die kleinste und sensibelste von ihnen – aber vor allem ist sie diejenige, die am wenigsten das macht, was man erwartet. Sophie ist die vernünftigste, sie ist ja schließlich auch die älteste. Klar, das Leben in einer Großfamilie ist nicht immer rosig und spannend. Auch wenn man sich untereinander gut versteht und einen humorvollen, einfallsreichen Vater hat, der jeden Abend neue Geschichten erfindet, und eine Mutter, die wie ein „vertrauter Ort“ ist, die stets Schutz und Geborgenheit bietet. In letzter Zeit benimmt sich die Mutter jedoch immer merkwürdiger. Sie ist oft traurig, erscheint Sophie abwesend und schaut wie durch sie hindurch.

In kleinen Episoden erstreckt sich diese intime Familiengeschichte über einen Erzählzeitraum von zwei Jahren. Die Ich-Erzählerin Sophie beschreibt sehr detailreich ihren kindlichen Alltag, der uns zuweilen zum Schmunzeln bringt – mit dem sonderbaren Benehmen der Erwachsenen und den verrückten Einfällen der Kinder –, und im Zentrum erzählt sie uns die Geschichte eines ereignisreichen Sommers.

Oberflächlich bekommen wir über Sophie das Portrait einer harmonischen Familie vermittelt, doch schwingt von Anfang an ein bitterer Beigeschmack mit, den weder Sophie noch der Leser richtig zu deuten wissen. Über allen Frohsinn legt sich ein Mantel der Traurigkeit, erst schleichend und dann immer deutlicher. Für den erwachsenen Leser werden die Symptome einer Depression der Mutter offensichtlicher, doch die Kinder verstehen die starke Gemütsänderung ihrer Mutter nicht, suchen nach einem Grund und sind bemüht, sie aufzumuntern. Es wird eine Reise ins ferne Finnland organisiert, die für die Kinder die erste Fahrt ins Ausland ist, für die Erwachsenen jedoch der letzte Versuch, gegen die Krankheit der Ehefrau bzw. Schwester aus eigenen Kräften anzukämpfen. Aber der Versuch scheitert, der Schatten legt sich über die ganze Familie, und die Krankheit ist nun nicht mehr zu übersehen. Erst fast am Ende wird das Ungewisse, dass die Mutter an Depressionen leidet und in die Psychiatrie muss, aufgelöst und den Kindern vom Vater und der Tante behutsam erklärt.

Parallel zur Familiengeschichte wird die Geschichte der sich anbahnenden Freundschaft von Sophie und Alice erzählt. Sophie möchte schon seit längerem mit diesem mutigen Mädchen befreundet sein, traut sich jedoch nicht, den ersten Schritt zu machen – zumal Alice ihr auch einige Rätsel aufgibt und es ihr nicht leicht macht. Zum Schluss des Buches erfährt Sophie, dass Alices Vater in der gleichen Nervenheilanstalt betreut wird wie ihre Mutter. Beide Patienten befinden sich jedoch nur augenscheinlich in einer ähnlichen Lage, denn bei Alices Vater besteht keinerlei Aussicht auf Heilung. Doch die Mädchen finden Vertrauen zueinander und nähern sich an.

Ohne aufdringlich zu sein, gelingt es Marjaleena Lembcke, den Alltag einer Familie zu schildern, deren Welt zunehmend aus den Fugen gerät. Sie zeigt die Krankheit am Beispiel einer indirekt Betroffenen auf und schafft es, ein sensibles Thema behutsam durch Kinderaugen auch Kindern näher zu bringen, indem sie die Thematik mit dem Alltag, seinen anderen Problemen und Sehnsüchten verwebt. Die Fülle von Denkanstößen und kleinen Lebensweisheiten wirkt nicht belehrend, sondern trägt die Geschichte und geht in das Alltagsgeschehen über. Stärker als das Gefühl der Angst und das Unbehagen ist das Verstehen-Wollen der Kinder. So steht der verrätselnde Titel sinnbildlich für das Missverstehen der Geschwister, aber auch für ihr Verlangen nach Aufklärung. Titel und Einbandillustration führen den Leser erst einmal in die Irre, letztendlich verkörpern sie jedoch den kindlichen Umgang mit der Schwierigkeit, Menschen und ihr Verhalten zu verstehen.

Lembckes Erzählweise bleibt immer klar und verliert nie die Perspektive der Lebensrealität der Ich-Erzählerin. Sie schreibt in ihrer gewohnten Schlichtheit und in kurzen Sätzen sehr detailreich und nimmt den Blickwinkel einer Zehnjährigen treffend ein, weshalb sich junge Leser besonders gut in Sophie wiederfinden können.

„Die Füchse von Andorra“ ist ein psychologischer Roman, bei dem die Sensibilisierung und der Umgang mit der Krankheit Depression im Mittelpunkt stehen. Marjaleena Lembcke hat sich hier an ein schwieriges Thema gewagt, nicht nur für ein Kinderbuch. Doch lässt sie den Leser nicht traurig zurück, sondern macht Mut, Probleme zusammen zu meistern, um am Ende gemeinsam wieder zu lachen und zu lernen, sich gemeinsam freuen zu können – auch wenn der Weg noch nicht zu Ende ist.

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