Nilsson, Per: So lonely
Herztrost
von Anne Kathrin Göhmann (2003)
„Drehbuch & Regie: Er selbst. (Oder vielleicht sie ... denkt er.) In der Hauptrolle: Er selbst. (Oder vielleicht sie ... denkt er.)“ Die letzte Vorstellung des Films kann beginnen. Seines Films, den er, der namenlose ‚Hauptdarsteller’, schon so oft in seinem Kopf hat abspielen lassen. Die Erinnerungen sind schön, aber schmerzhaft, denn das Kino-im-Kopf handelt von ihr, von Ann-Katrin, von seinem Herztrost. Er ist am Boden zerstört, will sich umbringen, wenn sie an diesem Abend nicht, wie versprochen, anrufen sollte.
Er sitzt an seinem Schreibtisch, auf dem er die Reliquien ihrer gemeinsamen Zeit, der glücklichsten Zeit seines Lebens, aufgebaut hat. Anhand dieser Erinnerungsstücke spult er jede einzelne Szene ihrer Liebesgeschichte noch einmal ab, fest entschlossen, all diese Gegenstände und mit ihnen auch seine Erinnerungen zu vernichten.
Da ist zum Beispiel dieses Laken. Eine Wäsche müsste ausreichen, denkt er, um das Laken und sich von den Erinnerungen rein zu waschen. Doch vorher zieht er es über den Kopf: der Geruch von zwei schweißnassen Körpern. Und mit dem Geruch steigen die traurig-schönen Bilder auf. Den dazugehörigen Abschnitt des Films würde er sich zu gerne ersparen. Doch auch diese Szene muss gezeigt werden: ihre erste gemeinsame Nacht. Sein erstes Mal. Am Abend, bevor er für vier lange Woche nach Amerika verreist.
Vernichtet werden muss auch die Deutsche Grammatik, Ann-Katrins Schulbuch, das sie im Bus vergisst, das der Grund für ihr erstes Treffen ist. In der Rückschau ergibt sich für den Leser jedoch noch eine andere Bedeutung der Deutschen Grammatik: Als er nach seinem USA-Aufenthalt überglücklich zu ihr nach Hause fährt, macht er die Bekanntschaft von Nazi-Hans, eigentlich Hans-Peter. Hans-Peter ist Ann-Katrins deutschsprachiger Freund aus der Schweiz. Der Grund, warum sie Deutsch lernt, warum sie sich nie richtig auf ihn eingelassen hat.
Erst als alle Reliquien zerstört sind und der „Film-im-Kopf“ fast beendet ist, wird ihm klar, dass sie ihn nie so geliebt hat wie er sie. Er fühlt, dass „der große schwarze Klumpen in seinem Körper nicht aus Beton, sondern aus Eis“ ist. Und dieses Eis beginnt langsam zu schmelzen. Er sieht ein, dass er sich nie ernsthaft das Leben nehmen wollte. „Es war nur ein Mir-selbst-Leid-tun-Spiel.“
Nicht nur die wundervoll-traurige Liebesgeschichte macht dieses Buch so lesenswert, sondern auch ihre außergewöhnliche Darstellung: das Abwechseln des gegenwärtigen Geschehens mit den Rückblicken, das filmische Erzählen, die vielen Vorverweise, Verrätselungen und intertextuellen Bezüge. Mit „So lonely“ ist Per Nilsson ein herausragendes Jugendbuch gelungen, für das er 1997 zurecht den Deutschen Jugendliteraturpreis erhielt.