Wilson, Jaqueline (Text) und Silvio Neuendorf (Illustration): Das Kofferkind
Zur Not Radieschen
von Yvonne Hoffmüller und Sabine Elias (2001)
Andrea ist ein Scheidungskind. Ihre Eltern haben sich getrennt, das geliebte Maulbeerhäuschen verkauft und neue Partner mit eigenen Kindern gefunden. In beiden Familien herrscht chronischer Platzmangel und Andy muss sich sogar im Badezimmer einschließen, wenn sie mal ein „bisschen Ruhe und Frieden“ braucht. Als „Kofferkind“ fühlt sie sich nirgendwo richtig zu Hause, die neue Lebenssituation ist mit großen Gefühlsschwankungen verbunden. Regelrechten Hass entwickelt Andy auf den neuen Stiefvater Bill und Argwohn gegenüber Carrie, der neuen Freundin des Vaters. Mit keinem der fünf Stiefgeschwister kann sich das frühere Einzelkind zunächst anfreunden, im Gegenteil: Von der gleichaltrigen Katie wird sie geradezu gequält. Und auch an anderen Schauplätzen häufen sich die Probleme: Andy verliert ihre beste Freundin, schwänzt die Schule, fälscht Entschuldigungen.
Doch die Zehnjährige lässt sich nicht unterkriegen und erfindet kreativ eigene Strategien, mit ihrer schwierigen Lage zurechtzukommen. Eine wichtige Hilfe ist ihr kleines Spielzeugkaninchen Radieschen, mit dem sie sich aus bestimmten Situationen hinausfantasieren kann. Radieschen erträgt Belastendes quasi stellvertretend für Andy, spendet Trost und gibt Rat. Schließlich findet das Mädchen sogar einen Zufluchtsort im Garten eines alten Ehepaares. Mr. und Mrs. Peters werden zumindest in Gedanken für sie zu Oma und Opa. Manche Fantasien von Scheidungskindern werden für Andy Realität. Als sie etwa eines Nachts nicht nach Hause kommt, erfährt sie die gemeinsame Sorge und Suche der Eltern und kann sich so deren Liebe versichern. Mit der Geburt der Halbschwester Zoe darf Andy Verantwortung übernehmen und erhält eine ganz neue Funktion in der Familie.
Der britischen Autorin Jaqueline Wilson gelingt der Balanceakt zwischen einer realistischen, zum Teil auch überzeichneten Darstellung der Probleme von Scheidungskindern und der Bearbeitung und Lösung von Konflikten. Entlastend wirkt die witzig-ironische sprachliche Gestaltung. Die Leserinnen und Leser werden von der Ich-Erzählerin zum Teil direkt angesprochen, sie können sich mit ihr identifizieren, was durch kurze reflexive Passagen noch unterstützt wird. Und die stellenweise Problemüberzeichung kann für betroffene Kinder sogar tröstlich sein. Etwas bemüht, aber für Kinder vielleicht amüsant ist die Gestaltung der Kapitel nach dem Alphabet. Die jeweiligen Buchstaben sind mit Vignetten versehen, im Übrigen die einzigen Illustrationen in diesem Kinderbuch.