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Maar, Nele/Maar, Paul:
Papa wohnt jetzt in der Heinrichstraße
Spiesen-Elversberg: Ohrwurm 1999
MC

Als Bilderbuch:
Maar, Nele/Ballhaus, Verena:
Papa wohnt jetzt in der Heinrichstraße
Zürich: pro juventute 2000
(Erstauflage 1988)
32 S., € 12,80

Maar, Nele/Maar, Paul: Papa wohnt jetzt in der Heinrichstraße

Bärenscheidung

von Traudl Bünger (2001)

Nele Maar und Verena Ballhaus legten 1988 mit „Papa wohnt jetzt in der Heinrichstraße“ ein vielschichtiges Bilderbuch zum Thema Scheidung vor, das bereits in der neunten Auflage erschienen ist. Zu Recht wurde es 1989 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Trotz inhaltlicher Qualitäten wirkt es aber inzwischen leicht angestaubt. Denn den fein mit Feder konturierten Aquarellzeichungen haftet unverkennbar noch der Charme vergangener Zeiten an. Umso erfreulicher ist es, dass der Stoff mittlerweile auch als Hörspiel vorliegt. Mit einer Montage aus Erinnerungen einer erwachsenen Erzählerin, Dialogen aus der Zeit um die Trennung und geschickt gewährten Innensichten der kindlichen Lisa erreichen Nele und Paul Maar mit ihrem Hörspiel ein ähnlich hohes Niveau wie seinerzeit das Bilderbuch.

Eine Erinnerung der erwachsenen Lisa führt in das Hörspiel ein. Die junge Frau betrachtet ein altes Fotoalbum und erläutert die Bilder. So wird an einzelnen Stationen die Vorgeschichte erzählt. Wir erfahren, wie sich Heike und Wolfgang kennen lernten, wie Lisa geboren wurde und wie harmonisch das Familienleben anfangs war. „Und damit fängt meine Geschichte richtig an.“ Von der nächsten Phase in Lisas Leben gibt es keine Fotos. Die Eltern streiten sich immer häufiger, immer heftiger – und schließlich zieht Papa in die Heinrichstraße.

Als sich der Konflikt zwischen den Eltern zuspitzt, wird Lisas Erinnerungserzählung zunehmend häufiger unterbrochen von Gesprächssequenzen. Mit verschiedenen Sprechern besetzt, kommen Lisa und ihre Eltern zu Wort. Etwa berichtet die junge Frau zurückblickend von den schlimmer werdenden Streitereien – in der folgenden dialogischen Szene kann man hören, wie die Argumentation verbissener und der Ton schärfer werden. Daneben gibt es Gespräche von Lisas Teddybären. Dodo und Bobo berichten aus ihrer Perspektive oder treten spielerisch in Dialog mit Lisa. Mit den Bären spielt sie Szenen der Ehekrise nach. In diesen Spielen überwindet die Sechsjährige ihre Machtlosigkeit: „Hört sofort auf zu streiten, sonst fliegt ihr aus dem Fenster.“ Auch andere typische Fantasien von Scheidungskindern lebt Lisa mit den beiden aus: Nach einem Unfall wird sie von Dodo und Bobo operiert. Dem Tode nahe wünscht sich Lisa ihre Eltern herbei. Am Krankenbett endlich vereint, pflegen Heike und Wolfgang ihre Tochter gesund und versprechen: „Wir drei bleiben jetzt immer zusammen“ – leider nur ein Traum.

Die akustischen Elemente werden häufig eingesetzt, um Stimmungen zu vertiefen. Das anfängliche Familienidyll zum Beispiel ist in ein fröhliches Lied eingegangen, die Streitigkeiten werden von einem spannungsgeladenen Rhythmus begleitet, der zusehends intensiver wird. Diese Untermalung und die ausgezeichneten Sprecher machen das Einfühlen leicht. So ist ein Hörspiel entstanden, das die Situation eines Scheidungskindes mit beachtlichem psychologischen Verständnis präsentiert und dabei das gesamte Gefühlsspektrum von Zorn bis Verlassenheit auffaltet. Bei aller Drastik werden Kindern mit ähnlichen Erlebnissen aber auch Entlastungsangebote gemacht. Zu nennen wären die retrospektiv erzählten Passagen, die Möglichkeiten zur Distanzierung bieten, und das versöhnliche Ende.