Sammelrezension „Familie ist mein Territorium“ – Die Kinder- und Jugendbuchautorin Anne Fine
Fine, Anne: Das Oma-Projekt / Mrs. Doubtfire / Familienkrieg / Der Neue / Familien-Spiel / Punky Mami
„Familie ist mein Territorium“
von Sabine Elias (2001)
In der Tat: Nervige Omas, gestresste Mütter, aufmüpfige Teenager, engagierte Stiefväter – kaum ein Thema lässt die Engländerin Anne Fine aus, um ihren Lesern verschiedene Facetten von Familie vorzuführen. Seit fast 25 Jahren produziert die Erfolgsautorin Romane für Kinder, Jugendliche und Erwachsene und obwohl sie autobiografische Einflüsse auf ihre Geschichten bestreitet, wird man das Gefühl nicht los, sie verarbeite in diesen sämtliche Stationen ihres Lebens: 1947 geboren, wächst Anne Fine zusammen mit drei Schwestern in Leicester auf – wohl nicht zufällig handelt einer ihrer Erwachsenenromane ironisch-sarkastisch von „Schwesternliebe“. Nach Hochschulstudium und einer (gescheiterten) Ehe erzieht sie ihre zwei Töchter zunächst allein, bevor ihr ein zufälliges Treffen einen neuen Lebenspartner und zwei Stiefkinder beschert, eine Patchworkfamilie also, wie man sie in manchem ihrer Bücher findet.
In wenigen Jahren hat die Autorin, die damit kokettiert, sie habe nur aus Mangel an Lesestoff bei einem Schneesturm selbst angefangen zu schreiben, offenbar genug Stoff gesammelt, um aufzuräumen mit der „Illusion Familie“. Dies tut sie konsequent und unsentimental in Das Oma-Projekt, einem ihrer ersten Jugendbücher. Die Familie Harris dient als Beispiel für den gesellschaftlichen Diskurs über die Integration alter Menschen: Als die bis dato im gemeinsamen Haushalt lebende Granny ins Altenheim abgeschoben werden soll, leisten ihre vier Enkel listig Widerstand. Fine überzeichnet zwar bisweilen, hält den Leser aber durch geschickte Verteilung der Sympathien und verblüffende Wendungen bei (Lese-) Laune. „Das Oma-Projekt“ hat das ZDF 1995 zu dem Fernsehfilm Nicht über meine Leiche verarbeitet. Im letzten Jahr wurde der Stoff vom SWR für eine ausgezeichnet besetzte Hörspielfassung geschickt komprimiert.
Ein weiterer Kassenschlager ist Mrs. Doubtfire – auch Kinogängern bekannt. Nach der Scheidung von Daniel und Miranda Hilliard stehen die drei Kinder weiterhin im Kreuzfeuer des Ehekampfes. Als „stacheliges Kindermädchen“ verkleidet versucht Daniel, die vom Gericht geregelten Besuchszeiten zu unterwandern. Nach dem absehbaren Eklat gibt es einen fairen Kompromiss zugunsten der Kinder. Der Roman setzt weniger auf psychologische Ausdifferenzierung als auf Unterhaltung. Gerade dies macht den Stoff für eine Verfilmung geeignet, manche Szenen der Buchvorlage wirken sogar wie eigens für diese arrangiert. Insofern mutet es ein wenig scheinheilig an, wenn sich die Buchautorin („Der Scheck war natürlich sehr schön!“) von der Hollywoodproduktion distanziert. Empfehlenswert ist die ungekürzte Hörbuchfassung, in der Edgar M. Böhlke seine stimmliche Variationsbreite brillant unter Beweis stellt.
Ein weiteres familiales Konfliktfeld beschreitet die Autorin in ihrem Roman Familienkrieg. Von der häuslichen Front erstattet der 16-jährige William Bericht über das Chaos, in das seine bis dahin „nette und unkomplizierte“ Schwester Estelle die Familie gestürzt hat. Die Pubertät der 15-Jährigen muss als Begründung für die Sprachstörungen der kleinen Schwester Muffy herhalten, für die ,Hungersnöte’ des älteren Bruders und die Kommandosprache des Vaters. Fine überzeichnet alltägliche Geschehnisse, lädt sie auf mit Situationskomik, schrammt dabei aber – leider nicht nur in diesem Roman – sowohl inhaltlich als auch sprachlich etwas an der Lebenswirklichkeit von Jugendlichen vorbei.
Zwei andere Titel knöpfen sich das Thema Stieffamilie vor: Der Neue – 1993 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert – und Familien-Spiel. Beide bedienen sich des bewährten Musters vom ,Geschichtenerzählen in der Geschichte’. Im ersten Buch versucht die 13-jährige Kitty die Mitschülerin Helen mit ihrer eigenen Geschichte zu trösten. Kitty erzählt von „Glubschauge“, dem Neuen der Mutter, der sich – politisch konservativ, zudem „so beständig, so verlässlich und so berechenbar“ – ganz schön ins Zeug legen muss, um vor Kittys strengen Augen bestehen zu können. Auch ein Stück Zeitgeschichte fehlt nicht: Die studierte Historikerin und Politologin karikiert die Anti-Atom-Bewegung der 80er Jahre – leider recht penetrant. In „Familien-Spiel“ erzählen sich fünf Jugendliche in einem Turmzimmer von ihren Erfahrungen als Scheidungs- und Stiefkinder, von Gefühlen der Machtlosigkeit, Schuld, Irritation und Angst.
Anne Fines Bücher werden fleißig gelesen, bisweilen über Altersgrenzen hinweg, obwohl die Autorin eigentlich bewusst nach Zielgruppen unterscheidet: Die Romane für die Erwachsenen triefen nicht selten vor schwarzem Humor und Sarkasmus. Sollte die Geschichte einmal allzu böse geraten sein, folge einfach „zur Erholung“ ein Kinderbuch, wo ebenso wie in den Jugendbüchern bei aller Problemorientierung immer ein Fünkchen Hoffnung versprüht wird. Gerade die kleineren Leser erholen sich wie die Autorin bei fantastischen und Alltagsgeschichten mit Themen vorzugsweise aus der Schul-, manchmal auch aus der Familienwelt, etwa wie im recht amüsanten, wenngleich etwas angestaubten Punky Mami mit dem bewährten Motiv der Umkehrung der Eltern-Kind-Rollen. – Übrigens: Anne Fine frönt weiterhin ihrer „Leidenschaft fürs Leben“: Ihre Fans können gespannt sein auf einen Roman über die „Verantwortung, die Frauen [...] gegenüber ihren Eltern haben“. „Mehr wird nicht verraten!“