Boie, Kirsten (Text) und Silke Brix-Henker (Illustration): Klar, dass Mama Ole/Anna lieber hat
Geschwisterliebe
von Henning Schmidt (2001)
„Tot sein sollst du, tot, tot, tot!“, schreit Anna ihren Bruder ale an, der natürlich schuld daran ist, dass ihre geliebte Porzellanpuppe jetzt nur noch ein Bein hat. Mit Flüchen, Verwünschungen, Schimpfwörtern und einem „klitzekleinen bisschen“ Haue verschaffen die Protagonisten ihren heftigen Gefühlen Ausdruck. Dabei ist Anna völlig klar, dass Mama Ole lieber hat, und Ole weiß genau, dass Mama Anna lieber hat, denn einer von beiden hat immer mehr Pudding auf dem Teller als der andere.
Das Erfolgsduo Kirsten Boie und Silke Brix-Henker erzählt in Text und Bild von ganz alltäglichen Konflikten zwischen Geschwistern: Von einem zerrissenen Bild, auf dem ja sowieso nur „Krickel-Krackel“ drauf war oder einem „aus Versehen verzehrten Schokoladenhasen“ – Streitigkeiten, wie sie jedes Geschwisterkind so oder ähnlich schon einmal erlebt hat. In zwei Erzählsträngen werden zum Teil die gleichen Erlebnisse geschildert. Die Autorin wählt dabei einmal die Perspektive der fast sieben Jahre alten Anna und das andere Mal die Sicht des dreijährigen Ole. So wird vorgeführt, dass es nie eine einzige Version eines Erlebnisses gibt, und die subjektive Art der Darstellung liefert manchen Anlass zum Schmunzeln.
Amüsant wirken die schnellen, spontanen Federzeichnungen von Silke Brix-Henker. Durch die gezielt eingesetzten Aquarell- und Buntstiftfarben können auch die Gefühlsregungen der Figuren eindeutig identifiziert und nachempfunden werden, da wird ein Kopf vor Wut schon einmal rot wie eine Tomate. Hilfe bieten hierbei auch Stilelemente des Comics, wie Denkblasen, die die karikaturistischen Illustrationen abrunden.
Das raffinierte Layout des Buches hilft auch schon den kleinsten Lesern und Zuhörern, die Perspektiven zu vergleichen. Denn das Buch hat zwei Anfänge und kann von beiden Seiten begonnen werden, entweder mit Annas oder Oles Version. Eine Drehung des Buches, die in der Mitte nötig wird, veranschaulicht den Wechsel der Perspektive. Aber egal, wo man die Lektüre beginnt, das Ende der Geschichte ist das gleiche: Anna und Ole sind sich ausnahmsweise einmal einig: Manchmal ist es gar nicht so schlecht, wenn man einen Bruder oder eine Schwester hat – besonders dann, wenn Mama einmal nicht da ist und Einbrecher kommen könnten: „Eigentlich bist du manchmal ganz gut zu gebrauchen, Ole. Eigentlich bist du manchmal schon fast wie vier“, muss selbst Anna als große Schwester feststellen.