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Krisenbewältigung auf Knopfdruck


von Thilo Schmidt (2025)

In Zoë Jennys Roman „Nachts werden alle Wünsche wahr“ verkündet ein magisches Buch: „Opfer sein ist gar nicht schwer, sich zu wehren umso mehr!“ Trotzdem gelingt stets die Überwindung nahezu aller Ängste, denen die Figuren begegnen, und das Buch scheint nicht Recht zu behalten. Doch ist das der Stoff für eine starke Erzählung?

Im neuesten Werk der mehrfach preisgekrönten Autorin des „Blütenstaubzimmers“ geht es um die zwölfjährige Lea. Sie verbringt ihre Schul- und Freizeit meist zusammen mit ihren vier Freund*innen Lukas, Jenny, Jessica und Simon, die sich zusammen die „Riverside Kids“ nennen, und erlebt mit diesen verschiedene Abenteuer. Mithilfe der Schlüssel von Leas alleinerziehender Mutter, die als Filialleiterin einer Buchhandlung arbeitet, steigen die Kinder nachts in ein Einkaufszentrum ein und entdecken dort ein Buch mit magischen Kräften, das ihnen den Beginn einer Mission verheißt. So betreten sie Nacht für Nacht verschiedene Läden des Einkaufszentrums, toben sich aus und bekommen rätselhafte Aufträge von einem sprechenden Ara erteilt. 
Lea muss sich dem Mobbing in der Schule und Simon seiner Angst vor Hunden stellen. In der Zwischenzeit stoßen Nick, ein durch Videospiele vereinsamter Junge, Wolfi, der mit magischen Fähigkeiten begabte Hund des Sicherheitspersonals und sogar Mia, Leas ehemalige Mobberin, dazu. Eines Tages wird Wolfi entführt und die Bande deckt die Machenschaften von Hundeentführern auf. Die Geschichte endet mit einem Ausflug der „Riverside Kids“ zum Haus von Leas Vater, wo sie unter freiem Himmel übernachten – gekrönt von einem magischen Finale mit Wunscherfüllungs- und Happy End-Garantie.

Zoë Jenny zeigt uns in „Nachts werden alle Wünsche wahr“ mit schnörkellosem Stil und hohem Erzähltempo eine junge Protagonistin, welche sowohl persönlich als auch indirekt über Freund*innen, Verwandte und Bekannte mit Tierphobien, Angst vor Ausgrenzung, Vereinsamung, Umzug und Lärm oder Lampenfieber konfrontiert wird. Das titelgebende Thema der Wünsche bleibt dabei eher zweitrangig und lediglich Leas Wunsch nach einer klassischen Familiensituation wird ausführlicher thematisiert.

Dabei könnten die vielen Figuren, von Kindern über Eltern bis hin zu personifizierten Tieren, vielfältige Möglichkeiten der Einfühlung und Ergründung von Wünschen und Ängsten bieten. Dies gelingt der Autorin leider oftmals nicht. So beschreibt sie meist eine Angst und deren Erleben auf direkte und plastische Weise, geht jedoch sofort zur Auflösung beziehungsweise aktiven Überwindung über. Ähnlich verhält es sich mit den Spannungsmomenten im Plot: Es tritt ein Rätsel oder ein Konflikt auf, doch sogleich wird den Leser*innen die entsprechende Lösung mitgeliefert. Dabei greifen die Figuren bisweilen auch auf Rachemotive zurück, beispielsweise wenn Lukas Mia bei ihren ersten Versuchen auf dem Skateboard filmt und ihr damit droht, das Video auf TikTok zu veröffentlichen. Diese intuitiven Reaktionen der Kinder werden jedoch weder durch andere Figuren noch erzählerisch problematisiert und so liest sich der spöttische Ausruf des Aras „Heute glauben die Kinder, alles wird ihnen auf dem Silbertablett serviert“ als Metakommentar zur Erzählstruktur des Buches.

Die Erzählung kann in den Momenten überzeugen, in denen sich Lea in die Sorgen von Sophie, ihrer kleinen Stiefschwester in spe, hineinfühlt. Zum Beispiel besucht sie trotz eigenem Lampenfieber Sophies Kindergarten und stellt dort ihre Vogelspinne Trixie vor. Hiermit bietet sie Sophie ein Mittel zum vertrauensvollen Zugang zum Kindergarten, da diese sich dort nicht wohlfühlt. Auch die Wahl des diegetischen Raums, der städtische Wohnblock, und das Einkaufszentrum wirken authentisch und bieten für viele junge Leser*innen Anknüpfungspunkte. 

Gleichzeitig baut Jenny eine starke Rollendichotomie zwischen Kindern und Erwachsenen auf, die einen Perspektivwechsel erschwert. Die Gestaltung der Erwachsenenfiguren bleibt skizzenhaft, insbesondere die des Griesgrams und späteren Hundeentführers Herrn Bitterli. Hierbei haben wir es mit einem stereotypen Bösewicht zu tun, der auch für ein Kinderbuch ab acht Jahren ziemlich platt ausfällt.

Insgesamt handelt es sich also um ein aktuell für viele Kinder leicht zugängliches Werk und um geeignetes realitisch-fantastisches Lesefutter, das jedoch sowohl in der Behandlung des Hauptthemas Schwächen aufweist als auch auf sprachlicher Ebene keinen bleibenden Eindruck hinterlässt.

Die Illustration ist durchgängig in orangen und blauen Farbentönen gehalten und nimmt mal Motive, mal ganze Szenen der Handlung in locker gezeichnetem Stil auf. Die Bilder von Lisa Hänsch unterstützen somit die Erzählung, öffnen dabei aber kaum zusätzliche Bedeutungsspielräume.


Bibliographische Angaben

Zoë Jenny
Nachts werden alle Wünsche wahr
München: Karibu, 2024
204 Seiten
Kinderbuch ab 8 Jahre
 

Leseprobe