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Titelbild
Verroen, Dolf:
Wie schön weiß ich bin
Aus dem Niederländischen von Rolf Erdorf
Wuppertal: Hammer 2005
86 S., € 12,90

Verroen, Dolf: Wie schön weiß ich bin

Schöne weiße Welt

von Heidi Schönowsky und Patric Mell (2006)

Maria feiert Geburtstag. Sie wird zwölf. Geschenke bekommt sie viele. Darunter eine Perlenkette, eine „Fast-Schon-Große-Dame-Handtasche“ – und einen Sklaven namens Koko. Dazu schenkt ihr eine Tante noch eine kleine Peitsche, die leider nicht in die neue Handtasche passt. Wie schade.

Schauplatz ist Niederländisch-Guyana, das heutige Surinam in Südamerika, zu der Zeit, als die weißen Plantagenbesitzer durch die Arbeit ihrer farbigen Sklaven reich geworden sind: Genauso selbstverständlich, wie sie zur Arbeit eingesetzt werden, dienen die Sklaven ihren ‚Besitzern’ als Lustobjekt oder als Freizeitunterhaltung. Sie machen ‚bereitwillig’ alles, was von ihnen verlangt wird: wie Koko, der den Befehl erhält, ein Stück Kuchen vom Boden aufzulecken. Plötzlich vergeht der Nachmittag, der so langweilig anfing, wie im Flug.

Auf einer dieser Plantagen lebt Maria. Sie wächst als einziges weißes Kind in einer Welt der Erwachsenen auf. Spielkameraden hat sie keine. Sklaven sind für sie, wie für ihre Eltern, ein Teil des Eigentums, das willkürlich gekauft und verkauft, geschlagen oder gequält werden kann. In Frage gestellt wird diese Einstellung von keinem in dieser Geschichte, auch nicht von Maria. Ohne mit der Wimper zu zucken, tauscht sie Koko gegen eine weibliche Dienerin ein, weil ihr das besser gefällt.

Trotz des Tagebuchcharakters, in dem Maria berichtet, ist eine Identifikation mit der Ich-Erzählerin nicht möglich. Zu groß ist die Irritation über Marias Verhalten, zu fremd sind ihre Gedanken. Ihre Verurteilung Kokos als „dumm, dumm, dumm“, weil er nicht weiß, wo er geboren ist und wo seine Mutter und sein Vater sind, irritiert. Ihr Wunsch, ihn zu schlagen, weil er sie aus Versehen geweckt hat, erschreckt. Ihre völlige, immer wiederkehrende Unberührtheit von den Leiden und Schmerzen der Sklaven lässt sie oberflächlich und herzlos erscheinen. Ein Kind, geprägt von seiner Welt, die erfüllt ist von Brutalität, Ignoranz, Verdrängung und emotionaler Distanz. Die Mutter stickt und meint nur: „So ist das Leben“ und „Sitz gerade, Maria. Nichts ist so schlimm für ein Mädchen wie eine schlechte Haltung.“

In vierzig Einzelepisoden gibt Maria in einer nüchternen und altklugen Sprache kurze Einblicke in ihren Alltag, ihre Sorgen und Gedanken. Geprägt sind diese von endloser Langeweile, großer Unwissenheit und ihrem Wunsch, endlich erwachsen zu werden und Lukas, ihren Cousin, wieder zu sehen. Dafür soll aber erst ihr Busen wachsen, der ihr viel zu kindlich flach erscheint. Dann, so hofft sie, wird ihr Leben endlich aufregend.

Der Text, der in seiner Optik zunächst lyrisch wirkt, entpuppt sich während des Lesens als staccatohafte Aneinanderreihung von Sätzen. Dadurch wird er zum Spiegel der dargestellten Gesellschaft: Die zuerst harmonisch wirkende Scheinwelt wird von ungeheuren sozialen Grausamkeiten überschattet. Unter der Oberfläche brodelt es. Vorkommnisse, die die ‚Harmonie’ gefährden, werden verschwiegen und vordergründig ignoriert. Frustriert durch die Untreue ihres Ehemannes, bestraft die Mutter nicht nur dessen farbige Gespielin mit grausamer Härte. Die Demütigung wehrloser Menschen lässt sie ihre eigene Wehrlosigkeit eher ertragen. Maria beschreibt Schreckliches, doch die zu erwartende Reflexion bleibt aus. Nur die Entdeckung, dass ihr Cousin ein Kind mit ihrer Sklavin hat, scheint Maria zu schockieren. Sie stellt keine Fragen. Sie ändert nichts. So bleiben die Lesenden mit ihrem Urteil alleine.

Dolf Verroen ist mit diesem Buch ein zugleich beeindruckendes und beklemmendes Werk gelungen. Es gibt keinen Helden, der einen an die Hand nimmt und Maria endlich einmal sagt wie sie wirklich ist: „dumm, dumm, dumm“.

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