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Dörrie, Doris/Kaergel, Julia:
Lotte will Prinzessin sein
Ravensburg: Ravensburger 2004
(Erstauflage 1998)
32 S., € 12,95

Dörrie, Doris (Text) und Julia Kaergel (Illustration): Lotte will Prinzessin sein

Kronenkind

von Stefanie Hüls (1999)

„Um sieben Uhr früh klingelt Lottes Wecker. Draußen ist es dunkel und kalt und im Bett so gemütlich.“ Lotte will partout nicht aufstehen, obwohl sie doch um 8 Uhr im Kindergarten sein muss und ihre Mutter bei der Arbeit. Die Mutter lockt sie mit allen möglichen Kosenamen, doch Lotte will lieber träumen. Dabei liegen die Lieblingsanziehsachen der letzten Woche schon bereit. Doch heute ist „der blaue Rock [...] zu blau und der rote Pullover zu rot“. Lotte will viel lieber ihr Prinzessinnenkleid anziehen. Die Mutter versucht es ihr auszureden und zeigt ihr auf dem Balkon, wie kalt es draußen ist. „Nein, ist es nnnnnicht“, sagt Lotte mit klappernden Zähnen, „du tttträumst, dass es kkkkalt ist. Du ttttträumst, dass es schschschschneit. In WWWirklichkeit schschscheint die SSSSonne und es ist schschschschrecklich wwwwwarm.“ Da platzt der Mutter der Kragen. Aber alles Schreien und Toben hilft nicht. Lotte lässt sich von ihrer Mutter nichts sagen. Sie braucht unbedingt noch ihre Krone. Und überhaupt: Ihre Mutter könnte sich ebenfalls ein bisschen schöner anziehen. Zum Beispiel das wunderschöne, goldgemusterte Abendkleid. Eine Krone hat Lotte auch noch für ihre Mutter. Als „schrecklich“ schöne Prinzessinnen fahren sie mit der Straßenbahn zur Arbeit und in den Kindergarten.

„Lotte will Prinzessin sein“ ist eine witzige Mutter-Tochter-Geschichte über das Machtgerangel beim morgendlichen Aufstehen. Geschrieben wurde die Geschichte von Doris Dörrie, der bekannten deutschen Filmemacherin und Autorin. Es ist das erste Bilderbuch von ihr und der jungen Illustratorin Julia Kaergel. Text und Bild ergänzen sich wechselseitig, mal unterstützen die Illustrationen die Dialoge, mal vertiefen Worte die Zeichnungen. So speit die Mutter bei ihrem Tobsuchtsanfall eine rote Feuerwolke, in die aussagekräftige Symbole gezeichnet sind: Eine durchgestrichene Krone weist darauf hin, dass Lotte ihr Prinzessinnenkleid nicht anziehen soll. Ein roter Pullover und ein blauer Rock zeigen die von der Mutter gewünschte Kleidung und ein Wecker signalisiert den Zeitdruck.

Kaergel nutzt malerische, zeichnerische und grafische Ausdrucksmittel. Collageartig setzt sie immer wieder einzelne Fragmente zu neuen Raumbildern und Ensembles zusammen. Das lädt zum ständigen Suchen und Entdecken ein. Verschiedene Bildgegenstände verweisen auf Lottes Prinzessinnenfantasien: Kronen in verschiedenen Formen und Größen sind auf einigen Bildern zu sehen, und auch andere Elemente gleichen manchmal kleinen oder großen Kronen – etwa die immer wiederkehrenden Tulpen oder ein Spielhaus im Kindergarten. Ebenso zieht sich das Burg-Thema durch die ganze Geschichte: Lotte hat in ihrem Zimmer eine Burg bzw. eine ganze Festung, in anderen Bildern sind burgähnliche Zacken über den Fenstern angedeutet.

Der mehrmalige Perspektivenwechsel auf einer Bildseite irritiert den Leser bisweilen, zumal Julia Kaergel zwischen Innen- und Außenperspektive variiert und die Größenverhältnisse ständig ändert. Häufig wird der Leser durch Umkehrung der Proportionen von Kind und Erwachsenem gezwungen, die Welt mit Lottes Augen zu betrachten – so bei einer Szene in Lottes Zimmer: Die Mutter ist sehr klein im Hintergrund des Bildes, Lotte thront in erhöhter Position auf einer ihrer Burgen, unter ihr ist eine riesige Goldkrone zu sehen, vielleicht als Symbol für Lottes Willen. Die Betrachter des Buches sehen eine verkehrte Welt, die sich auch im Text wieder findet. Denn Lotte setzt sich durch und bestimmt selber ihre Kleidung und die der Mutter. Die Gesichter sind mit einfachen Strichen skizziert und erinnern an Kinderzeichungen. Auffallend sticht dagegen die nuancenreiche sorgfältige Farbgestaltung ab. Wichtige Details für die Geschichte sind durch kräftigere und leuchtendere Farben hervorgehoben. So hat Julia Kaergel zum Beispiel für die Krone und das Prinzessinnenkleid ein metallisches Gold gewählt.

Dem Buch ist eine glitzernde Papierkrone beigefügt, welche man sich aufsetzen kann. Dadurch wird die Imagination der Kinder angeregt. Die Krone gibt ihnen die Möglichkeit, sich selber wie eine Prinzessin oder ein Prinz zu fühlen und sich mit Lotte zu identifizieren. Die Geschichte wird gut nachspielbar. Durch die einfache und klare Sprachstruktur in den Dialogen zwischen Lotte und ihrer Mutter wird dies noch unterstützt.

In witziger und origineller Weise zeigt „Lotte will Prinzessin sein“ eine verkehrte Welt, in der das Kind dem Erwachsenen Vorschriften macht. Diese Umkehrung einer gewöhnlichen Mutter-Tochter-Situation könnte auch als humorvolle Lösung für Konflikte verstanden werden, indem man Kindern nicht alles vorschreibt, sondern ihnen Raum für Selbstbestimmung und persönliche Freiheit lässt. Eine gelungene und unterhaltsame Geschichte, die Fantasie in den Alltag von Kindern und Eltern bringt! Sie steht auf der Nominierungsliste zum Deutschen Jugendliteraturpreis1999.