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Titelbild
John Green und David Levithan:
Will & Will
Aus dem Amerikanischen von Bernadette Ott
München: cbt 2012
378 Seiten
€ 14,99
Jugendbuch ab 13 Jahren

Green, John und David Levithan: Will & Will

Jungs & Liebe

von Laura Ritgen (2012)


Will und Will sind zwei siebzehnjährige Teenager aus Chicago. Sie gehen beide in eine High School, erledigen ihre Hausaufgaben und verbringen viel Zeit am Computer, im Internet, bei Facebook. Die beiden Jungen haben nicht nur den gleichen Vornamen, sondern auch noch den gleichen Nachnamen: Grayson. Auch wenn sie sich nicht kennen, haben sie darüber hinaus einige Gemeinsamkeiten: Sie ziehen sich gerne zurück und meiden den Kontakt zu anderen. Der eine – nennen wir ihn den ,coolen‘ Will – versteckt sich hinter seinen zwei Regeln: „1.) Lass nichts zu nah an dich ran. 2.) Maul halten“, während sich der andere mehr und mehr in seiner virtuellen Chatbeziehung verliert. Beide sind sehr mit sich selbst und ihrer eher negativen Gefühlslage beschäftigt.

Der ,Chat‘-Will lebt alleine mit seiner Mutter in einem Vorort Chicagos. Sein Vater hat die beiden verlassen, das Geld ist knapp. Will leidet unter massiven Depressionen und scheint zeitweise sogar die Lust am Leben verloren zu haben. Sein einziger Antrieb ist ein Facebookprofil mit dem Namen Isaac, hinter dem Will einen Jungen in seinem Alter glaubt und mit dem er seit einem Jahr eine Chatbeziehung führt. Diese Illusion wird zerstört, als Isaac nicht zu dem verabredeten Treffpunkt erscheint. Will wird auf brutale Weise zurück in die Realität geholt, als sich herausstellt, dass „Isaac“ die ganze Zeit die Erfindung einer vermeintlichen Freundin war.

Der ‚coole‘ Will ist wenig von sich selbst überzeugt. Er hat das Gefühl, „dass die Welt sich einen Dreck um ihn kümmert“. Außerdem hat er große Angst davor, verletzt oder enttäuscht zu werden. Er meidet lieber den Kontakt zu dem Mädchen, das er mag, und redet sich ein, kein Interesse an ihm zu haben. Von seinem besten Freund Tiny Cooper fühlt er sich mit seinen Problemen alleingelassen. Er empfindet die Freundschaft mit ihm sogar als belastend und würde sich „nie jemanden wie Tiny Cooper freiwillig als Freund aussuchen“.

Die beiden Wills begegnen sich eines Abends zufällig in einem Sexshop. Weil der ‚coole‘ Will seinen Freund Tiny im Schlepptau hat, kommt es gleichzeitig zur ersten Begegnung zwischen Tiny Cooper und dem ,Chat‘-Will Grayson.

Das ist der Beginn einer Veränderung im Leben der drei Jungen. Vor allem die beiden Namenszwillinge durchlaufen von diesem Zeitpunkt an eine Entwicklung, die ein positiveres Selbstbild stärkt. Die beiden Jugendlichen reflektieren zunehmend, und es fällt ihnen immer leichter, sich selbst anzunehmen und zu wissen, was sie wollen. Eine entscheidende Figur bei diesem Reifeprozess ist Tiny. Er ist auch der Grund dafür, dass Will und Will von nun an mehr miteinander zu tun haben, denn Tiny verknallt sich Hals über Kopf in den ‚Chat‘-Will.

Das ist typisch für Tiny. Er verliebt sich schnell, geht dann Beziehungen ein und stellt bald fest, dass es doch nicht richtig funktioniert. Die Phase des Liebeskummers dauert an, bis ihm der nächste hübsche Junge begegnet, für den er sich interessiert. Dann schwebt er schnell erneut auf Wolke Sieben. „Tiny ist schon 3900-mal verliebt gewesen – davon die Hälfte nur im Internet.“ Seine Stimmung wechselt in Abhängigkeit zu seinem Liebesleben zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt. Er liebt es, im Mittelpunkt zu stehen und die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Andererseits kann der egozentrische, extrovertierte Teenager auch sehr einfühlsam und empathisch seinen Mitmenschen gegenüber sein. So spürt er oft, was andere gerade brauchen. Er ist aufgeschlossen, offen und freundlich und teilt der Welt gerne etwas von seiner Lebensfreude und Energie mit. Das kann er am besten, indem er ein Musical von sich und seinem homosexuellen Liebesleben auf die Bühne bringt und dabei die halbe Schule einspannt. Nicht nur wegen solcher Eigenschaften ist der schrille Teenager ein Mensch, der auffällt: Tiny Cooper ist „der größte Mensch auf der Welt […], der richtig, richtig schwul ist, und der schwulste Mensch auf der Welt, der wirklich, wirklich groß ist“, um es in den Worten seines besten Freundes, des ‚coolen‘ Will, auszudrücken.

Tiny Cooper und der ‚Chat‘-Will werden tatsächlich ein Paar, und Will kann nun über diese reale Beziehung öffentlich zu sich und seiner Homosexualität stehen. Auch der ‚coole‘ Will begreift, dass er nur etwas verändern kann, wenn er auch etwas riskiert. Endlich schafft er es, sich seine Zuneigung zu seiner Klassenkameradin Jane einzugestehen. Auch er wagt den Schritt in Richtung einer Beziehung. Gleichzeitig wird ihm etwas Entscheidendes bewusst: Will erkennt, wie wichtig ihm sein bester Freund Tiny ist.

„Will & Will“, ein Gemeinschaftswerk von John Green und David Levithan, erzählt eine moderne, nachvollziehbare Geschichte über Liebe und Freundschaft. Das Besondere an ihr ist, dass es zur Abwechslung Jungs sind, die sich verlieben. Überlegungen und Reflexionen zu Liebe und Freundschaft ziehen sich durchgehend durch den Roman. Zentrales Thema ist die Unterscheidung zwischen sexueller und freundschaftlicher Liebe, über die sich vor allem der heterosexuelle Will bewusst wird, wenn er sagt: „Ja, so ist es. Verdammt noch mal. Ich liebe Tiny Cooper.“ Aber auch andere Aspekte von Freundschaft und Liebe kommen zur Sprache, etwa in der Thematisierung der Liebe, die der ‚Chat‘-Will für seine Mutter empfindet. Dies ist alles nah am jugendlichen Erleben geschrieben, so dass sich – auch aufgrund der plastisch angelegten Charaktere – viel Raum für Identifikationsmöglichkeiten bietet.

Der Roman besteht aus insgesamt zwanzig Kapiteln, die sich abwechselnd auf die beiden Ich-Erzähler Will und Will aufteilen. Unterscheiden kann man sie bereits am Schriftbild, da in den Kapiteln des ‚Chat‘-Will durchgängig Kleinschreibung verwendet wird, wie sie ja auch beim Chatten üblich ist. Für die Sprache der beiden Ich-Erzähler findet das Autorenteam einen authentischen und zeitgemäßen, dabei jeweils ganz eigenen charakteristischen Ton, der die Gefühle und Wahrnehmungen der beiden jungen Männer glaubhaft herüberbringt und die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Ich-Erzähler nachdrücklich unterstreicht.

Durch die lebendige Darstellung fühlt man sich schnell wie mittendrin und kann eintauchen in die Lebenswelt der jungen Erwachsenen, wie sie nicht authentischer hätte geschildert werden können. Besonders gelungen sind Textstellen, an denen große Lebensfragen diskutiert und Überlegungen getroffen werden, die zum Nachdenken anregen können. So wird beispielsweise über das „Junge-Sein“ philosophiert, darüber „wie es jungsmäßig eigentlich sein sollte“. Immer wieder gibt es durchaus anspruchsvollere Gedankengänge, die auch sprachlich überzeugen (Übersetzung: Bernadette Ott).

Über das typisch amerikanische Ende des Romans kann man sicherlich trefflich streiten: Es kommt zur Auflösung aller Knoten und Widersprüche, Sentiment und Rührung werden im Übermaß verbreitet. In Tinys Musical, von dessen Aufführung der Schluss erzählt, wird die Entwicklung im Leben der Protagonisten noch einmal im Schnelldurchlauf präsentiert: Alle finden sie zu dem, was sie wollten. Das Ende des Romans ist wie das Schlussbild eines Musicals gestaltet, als bunte und schrille Apotheose, die noch einmal alle handelnden Personen vereint. Als alles vorbei ist, brandet Applaus auf, „der lauteste applaus, den man jemals gehört hat“, und er gilt nicht nur dem Stück, sondern auch den Helden des Romans.

Unabhängig von diesem Ende ist es vor allem die Vielfalt von Greens und Levithans sprachlicher Darbietung, die überzeugt. Hoffen wir, dass weitere gemeinsame Romane folgen!

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