Bauer, Michael Gerard (Text) und Leonard Erlbruch (Illustration): Mein Hund Mister Matti
Normal ist eben doch besonders
von Robert Klessing (2012)
Eigentlich ist Mister Matti ein ganz normaler Familienhund. Er kann nicht fliegen, hat keine Superkräfte, und sprechen kann er auch nicht. Aber für den kleinen Corey ist er jemand ganz Besonderes.
Als Corey Ingram drei Jahre alt ist, kommt Mister Matti ins Haus. Corey selbst wählt ihn aus einem Welpenrudel aus Dalmatiner-Mischlingen aus. Der kleine Junge will zwar ‚Dalmatiner‘ sagen, verschluckt „aber immer einzelne Silben, sodass nur Matti übrig“ bleibt. Die Geschichte der Freundschaft von Hund und Kind wird rückblickend vom mittlerweile zehn Jahre alten Corey episodenhaft erzählt. Es geht dabei nicht um Heldentaten oder die Rettung der Welt, soviel wird schnell klar. Denn Corey sucht sich ausgerechnet den Welpen aus, der nicht mit seinen Geschwistern mitmacht, die sich kläffend um den Jungen drängen, sondern der ruhig und nachdenklich am Rande des Geschehens sitzt. Genau auf diesem Rand fühlt sich Mister Matti wohl, und so ist sein Platz bei den Ingrams auch nicht im Haus, sondern auf der Veranda davor. Er wird zum steten Begleiter in Coreys Kindheit.
„Mat“ teilt mit dem Jungen die Angst vor Gewitter und erträgt die Streiche von Coreys jüngerer Schwester Amelia mit Geduld und Seelenruhe. Er fürchtet sich vor dem Rosaroten Panther, einem großen Stofftier vom Jahrmarkt, und schafft es dennoch, diese Angst zu überwinden. Sogar ein Kunststück lernt Mister Matti – genau eines. Zusammen erleben die beiden Freunde Spannendes, Schönes, Gefährliches und Trauriges. Der große weiße Hund mit der Herzzeichnung auf der Brust beschützt Corey vor Gefahr und kümmert sich um die ganze Familie, wird ein Teil von ihr. Bei Elternstreitigkeiten geht er dazwischen, ‚verteidigt‘ Amelia gegen den Rosaroten Panther und weiß offenbar noch vor der Mutter, dass die Geburt von Grace, Coreys jüngster Schwester, unmittelbar bevorsteht.
Parallel zu den Abenteuern mit Matti erfahren wir viel über Coreys Familiensituation. Oft in Nebensätzen oder Andeutungen verborgen, erzählt der Junge viel von seinen Eltern. So werden die Arbeitslosigkeit des Vaters, die ungewollte Schwangerschaft der Mutter oder auch die Ehekrise eher unauffällig thematisiert. Mister Matti ist dabei weder Friedensstifter noch Heilsbringer. Aber mit ihm zusammen überstehen Corey und seine Familie alle Situationen. Mister Matti ist einfach da und teilt das Leben mit den Ingrams, in guten wie in schlechten Zeiten. Man sieht förmlich dem kleinen Jungen zu, wie er seine Welt betrachtet, immer hinter dem beschützenden Körper seines großen Freundes. Mister Matti erscheint wie ein sanfter Filter für die Realitäten des Familienalltags. Er löst die Probleme nicht, aber er macht sie erträglich – durch Treue, Freundschaft und Loyalität, und nicht zuletzt auch durch sein schlichtes Da-Sein.
In angenehm entschleunigter Weise lässt der australische Autor Michael G. Bauer seinen Protagonisten in unkomplizierter und oft zu Herzen gehender Sprache Kindheitsereignisse erzählen. Die gewählte Ich-Form und die schlichte, direkte Sprache ermöglichen gerade Kindern eine hohe Identifikation mit dem Protagonisten. Immer wieder bleiben Coreys Beobachtungen dabei auf seine kindliche Verstehenswelt beschränkt: Als beispielsweise Coreys Mutter dem Nachbarn implizit eine Alkoholsucht unterstellt, kann sich der Junge nur über die für ihn nicht verständliche Äußerung der Mutter wundern. Dieser literarische Kunstgriff ermöglicht es Bauer, Realitäten zu transportieren, die dem Protagonisten zumindest nicht vollständig bewusst sind. Ob kindliche Leser diese versteckten Hinweise entschlüsseln können – oder wie Corey manche erwachsenen Verhaltensweisen einfach ‚merkwürdig‘ finden: Coreys Wahrnehmung entspricht der kindlichen Realität und bietet der Geschichte zusätzlichen Reiz.
Die emotionale Qualität des Buches wird durch die Abbildungen unterstützt und abgerundet, ohne ins Klischeehafte abzurutschen. Leonard Erlbruch greift mit seinen Schwarz-Weiß-Illustrationen in Aquarelltechnik an jedem Kapitelanfang pointierte Szenen des Inhalts heraus. Mister Matti wird in seiner Entwicklung vom tapsigen Welpen zum sanften Riesen in oft drolliger Weise portraitiert; aber auch der Verfall des einst so starken Tieres wird mit herzzerreißenden Bildern begleitet.
Alle 29 kurzen, inhaltlich überschaubaren Kapitel entfalten in undramatischer Weise eine Familienwelt, die den Leser (oder Zuhörer) zum Verweilen einlädt. Es sind meistens kleine, stille Geschichten aus dem Alltag. Alle Geschichten bewegen sich immer so nah an der Realität, dass man das Gefühl bekommt, es seien wirklich Ereignisse, die dem Ich-Erzähler so widerfahren sind.
Einige Geschichten sind witzig, andere spannend und wiederum andere traurig. Aber das Buch widersetzt sich einer Einordnung in bekannte Schubladen: Es sind weder Tiergeschichten, noch ist es ein Abenteuerbuch. Es ist ein Buch für Jungen wie für Mädchen, zum Selberlesen oder Vorlesen. Vielleicht ist es genau das, was dieses Buch auszeichnet: Es gibt keine Helden, sondern Freunde. Und das Schöne ist, dass es der Autor schafft, diese alltägliche Besonderheit nicht kleiner oder größer zu machen, sondern dass er sie mit aller Freude und allem Schmerz ganz lebensnah und doch in lockerer Weise erzählt.
Es ist diese Besonderheit des Normalen, die Mister Matti verkörpert, und seine unerschütterliche Treue bilden den Fels in der Brandung des Familienlebens von Corey. Mister Matti wird zu einer, wenn nicht sogar der Konstante in Coreys Kindheit. Und Corey erkennt ganz am Ende des Buches, was ihn Mister Matti gelehrt hat: „dass man manchmal am allerbesten einfach abwartet, egal wie dringend und heftig man sich etwas wünscht. Abwartet, bis etwas passiert oder aufhört, bis etwas heilt oder besser wird oder bis jemand nach Hause kommt.“
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