[Sammelrezension „Philip Ardaghs Eddie-Trilogie“] Ardagh, Philip: Schlimmes Ende / Furcht erregende Darbietungen / Schlechte Nachrichten
Einfach verrückt
von Julia Feldgen (2005)
Der Protagonist von Philip Ardaghs preisgekrönter Trilogie ist der elfjährige Eddie; manchmal Jonathan genannt oder auch als Simon betitelt, wenn seine Eltern vergessen, dass er eigentlich Edmund heißt. Er ist der Einzige, der offensichtlich normal erscheint. Eddie erlebt in allen drei Büchern der Eddie-Dickens-Trilogie, die im 19. Jahrhundert spielen, unglaublich verrückte Abenteuer mit seinen absolut wahnsinnigen Verwandten.
So reist er z. B. im ersten Band mit seinem „Wahnsinnigen Onkel Jack“ und seiner „Noch Wahnsinnigeren Tante Maud“, die ihr ausgestopftes Wiesel Malcom stets mit sich trägt, nach Schlimmes Ende, dem Haus des Onkels. Der Grund des Umzugs scheint verständlich: Keiner will sich mit der kuriosen Krankheit der Eltern anstecken. Diese sind „gelb und an den Rändern etwas wellig“ und riechen nach „alten Wärmflaschen“.
Auf der Reise bezahlt der wahnsinnige Großonkel mit Trockenfischen, was selbst in dieser obskuren Welt als hoch ungewöhnlich gilt. Außerdem überfallen umherziehende Theaterleute aus rein künstlerischem Anlass ihre Kutsche. Eddie gelingt durch unglückliche Zufälle in das St.-Fürchterlich-Heim – ein Waisenhaus, aus dem er aber schlussendlich fliehen kann. So landet die Familie Dickens, einschließlich der geheilten Eltern, schließlich doch noch in „Schlimmes Ende“.
Ähnlich ergeht es Eddie in den folgenden Bänden: In Furcht erregende Darbietungen explodiert ein Leichenwagen, es öffnet sich ein Sarg, aus dem ein Entfesslungskünstler heraussteigt. Und so können die absurden Abenteuer ihren Lauf nehmen ... In Schlechte Nachrichten will Eddie nach Amerika reisen, doch sein eigentliches Ziel erreicht er erst gar nicht ... Alle der drei Bücher finden natürlich ein gutes, wenngleich auch absolut verrücktes und unvorhersehbares Ende. Die Handlung ist allerdings eher Nebensache, im Vordergrund stehen skurrile Begebenheiten, Nonsens, eine große Portion Wortwitz und Sprachspielereien.
Die Handlung wird durch skizzenartige Schwarz-Weiß-Zeichnungen eingefangen. Die zahlreichen Illustrationen zeigen Personen mit spitzen Nasen, hageren, langgliedrigen Fingern und großen, kugelrunden Glubschaugen. Die Bilder sind eckig, kantig und monströs. Eddie, mit dem man sich noch am ehesten identifizieren kann, besitzt ein unförmiges Gesicht, einen langen, schmalen Hals und ist immer mit Rändern unter den Augen zu sehen. Die merkwürdig überzeichneten Bilder von David Roberts finden sich auf fast jeder Doppelseite, so dass sie den allgemeinen Irrsinn des Textes für den Leser visuell fortführen.
In allen drei Bänden taucht immer wieder der Erzähler auf und kommentiert das Geschehen. Er erscheint wie eine Mischung aus einer Gestalt unserer Zeit und der Welt der irrsinnigen Figuren. So stellt er dem Leser Fragen, weist auf Zusammenhänge früherer Begebenheiten hin oder zieht die Abbildung auf dem Einband mit ein. Seine Kommentare haben nicht immer unmittelbar etwas mit dem Handlungsgeschehen zu tun. So reflektiert er u. a. auch über den ‚Schriftsteller an sich’ und die Erzählperspektiven.
An vielen Stellen platziert der Erzähler geschickt Einschübe, die sich oftmals über Seiten strecken, und spielt erfolgreich mit der Aufmerksamkeit des Lesers. Z. B. indem er die Benutzung des Wortes ‚Unterdessen’ in einem ironischen, humorvollen Ton ausführt und den Leser darüber aufklärt, dass ein ‚guter’ Schriftsteller dieses Wort tunlichst vermeidet – und dann selbst den nächsten Abschnitt wieder mit ‚Unterdessen’ beginnt ...
Das permanente Infragestellen des Selbstverständlichen ist so köstlich wie der Inhalt selbst. So muss sich Eddie in den amüsanten und irrsinnigen Dialogen zwischen ihm und seiner durchgeknallten Großtante vergewissern, ob sie wirklich das Wort an ihn richtet. Denn obwohl sie mit ihm Augenkontakt aufnimmt, spricht sie meist mit ihrem ausgestopften Wiesel.
Auch in der Sprache spiegelt sich das Gespür für kuriose Kleinigkeiten wider. So beschreibt Philip Ardagh genau, wie es sich anhört, wenn man einen Eiswürfel lutscht, der die Gestalt eines berühmten Generals besitzt: „»Bakammamma wehn, baschu keibme Fimme hasch«, maulte seine Mutter, und das hieß (und heißt immer noch): »Da kann man mal sehen, dass du keinen Schimmer hast.«“ Oder er erklärt, wie sich die Wörter in GROßBUCHSTABEN anhören. Fremdwörter, die aus ironischen Gründen gezielt eingesetzt werden, und der Bezug zu realen Ereignissen und Persönlichkeiten vermitteln dem Leser den trügerischen Eindruck, über alles genauestens Bescheid zu wissen.
Die Art und Weise des Erzählens ist für Kinderbücher völlig ungewöhnlich und liebevoll sprachgewandt. Philip Ardagh wurde zu Recht der Jugendliteraturpreis 2003 in der Sparte Kinderbuch verliehen. An diesem Erfolg ist der Übersetzter Harry Rowohlt keinesfalls unbeteiligt. Ihm gelingt es augenscheinlich, den englischen Humor, den Wortwitz und die humoristisch-grammatikalischen Spielereien ins Deutsche zu übersetzen.
Philip Argagh hat mit der Eddie-Dickens-Trilogie eine völlig schräge, unkonventionelle Geschichte kreiert, in der wir für kurze Zeit unsere eigene Welt vergessen und uns auf eine andere, ganz besondere einlassen können.