Drvenkar, Zoran (Text) und Kerstin Meyer (Illustration): Eddies erste Lügengeschichte
Bist du das, Eddie?
von Bettina Hurrelmann (2002)
Was tun, wenn die beste Freundin in der Schule von nichts anderem mehr spricht als von Pferden? Allen vorschwärmt von den Reitstunden, die sie bald haben wird? Eddie mit ihrem losen Maul setzt der Angeberei ein Ende: „Wenn du Reitstunden bekommst, dann werde ich doch glatt zum Pferd.“ Wie gesagt, so geschieht es tatsächlich: „Heute Morgen bin ich aufgewacht und war ein Pferd.“
„Eddies erste Lügengeschichte“ ist ein Spiel mit dieser Fiktion: Der Tagesablauf eines Kindes, das plötzlich in ein Pferd verwandelt ist, wird von ihm selbst erzählt. „Denk jetzt bloß nicht, [...] dass du nicht zur Schule musst“, sagt die Mutter, die erstaunlich gelassen bleibt. „Und hast du es dir einfach nur so über Nacht gewünscht?“, will der kleine Bruder wissen, der gern ein Dino wäre. Auf dem Schulweg starren die Leute Eddie an, als ob sie noch nie ein Pferd gesehen hätten. „Was ist denn mit denen los? Gucken die keine Western?“, denkt sie. Als Pferd in der Schule zu sein, ist dann gar nicht schlecht. Der Lehrerin steht der Mund offen, die Kinder sind voll Bewunderung. In der Pause inszeniert Eddie eine Reitstunde für alle. Und der Freundin ist die Show gestohlen.
Bei der leicht und witzig präsentierten Geschichte geht es aber um mehr als eine Wunschfantasie. Zoran Drvenkar wäre nicht der begabte Erzähler, als der er bekannt ist, wenn er in das Verwandlungserlebnis nicht auch Nebentöne gemischt hätte. Irgendwie – das gibt die Geschichte zu verstehen – ist Eddie auch beklommen zumute. Und das hat damit zu tun, dass sie eigentlich ein bisschen gemein war: „Das war so, als ob ich Nadjas Geburtstagsgeschenke einen Tag vor ihr ausgepackt hätte.“ Im fantastischen Gestaltwandel ist ein anderes Selbst zutage getreten, welches Eddie dann doch gern wieder los wäre.
Der Titel weist die reich bebilderte Erzählung als Lügengeschichte aus. Zwei bei Kindern beliebte Imaginationsspiele sind also ineinander geschoben: das Spiel mit der Identität und das Spiel mit der Wirklichkeit. Dass es dabei um zwei elementare Möglichkeiten von Literatur geht – das genau macht den Reiz dieser Erzählminiatur für Leseanfänger aus.
Leseprobe
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Ab Herbst 2002 lügt Eddie weiter:
Drvenkar, Zoran:
Eddies zweite Lügengeschichte
Illustriert von Barbara Scholz
Hamburg: Oetinger 2002
(Sonne, Mond und Sterne)
64 S., € 6,50
Die beiden Lügengeschichten gibt es auch als Hörkassette, vorgelesen von Ilona Schulz:
Drvenkar, Zoran:
Eddies Lügengeschichten
Hamburg: Hörcompany 2001
MC: € 9,90