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Klass, David:
Ihr kennt mich nicht!
Aus dem Amerikanischen von Alexandra Ernst
Würzburg: Arena 2001
272 S., € 12,90

Klass, David: Ihr kennt mich nicht!

Wer ich nicht bin

von Sandra Krüger (2002) 


In Johns Leben läuft so einiges schief: Er muss eine „Anti-Schule“ besuchen, die keinen Spaß macht und in der man dumm wird, anstatt etwas zu lernen. Sein Freund „Billy Banane“ hat ihm den Krieg erklärt, denn John hat Billys Strategie geklaut und sich hinter dessen Rücken mit der wunderschönen Gloria verabredet. Das heißersehnte Rendezvous mit der Angebeteten wird zum Desaster und die vermeintliche Prinzessin entpuppt sich als oberflächliche Kröte. Doch all dies ist nichts im Vergleich zu Johns familiären Problemen. Den neuen Freund seiner Mutter kennt nur John von seiner wahren Seite: ein Krimineller und brutaler Säufer, der den Jungen hinter dem Rücken seiner Mutter durch Schläge und Drohungen einzuschüchtern weiß. „[I]ch fühle, wie sein dicker Ledergürtel auf meinen Rücken und meine Schultern peitscht, während ich versuche mein Gesicht vor den Schlägen zu schützen.“

Mit den Worten „Du kennst mich nicht“ beginnt John seine Erzählung und richtet sich dabei zunächst an seine Mutter, nach deren Liebe und Aufmerksamkeit er sich sehnt: „Hast du auch nur ein einziges Wort gehört, das ich gesagt habe, oh du meine müde und erschöpfte Mutter? [...] Oder entspricht es vielmehr den Tatsachen – wie ich schon seit langem vermute –, dass du überhaupt nicht weißt, wer ich bin?“ John ist fest davon überzeugt, dass ihn niemand wirklich kennt. Um so sicherer ist er sich, dass er alle anderen ganz und gar durchschaut hat. Selten nennt er sie bei ihren richtigen Namen, lieber gibt ihnen neue, passendere Bezeichnungen. So heißt Johns Mathematiklehrerin „Mrs Mondgesicht, [...] benannt nach der Oberfläche des Mondes, aus Gründen, die etwas mit der Farbe Ihrer Haut“ zu tun haben. Und auch seine Mitschülerin ist nicht einfach Gloria, sondern „Glory Halleluja, […] das allerschönste Mädchen“.

Mit der Zeit muss der Vierzehnjährige feststellen – und den Leserinnen und Lesern ist es eigentlich schon bald klar –, dass John keineswegs Recht hat. Im Gegenteil: Letztendlich begreift er, dass es nicht die anderen sind, die ihn nicht kennen, sondern dass er für sich selbst der große Unbekannte ist. Von entscheidender Bedeutung auf diesem Weg ist sein Musiklehrer Mr Steenwilly, der Johns Probleme und seine Fähigkeiten erkennt. Der Junge dagegen lässt den Lehrer nicht an sich heran. Schließlich findet John sein eigenes Tubaspiel so schlecht, dass er meint, die „Musikpolizei“ müsse ihn am erstbesten Notenständer aufhängen. Außerdem ist seine Tuba „in Wirklichkeit ein riesiger Frosch“. Überraschenderweise findet der Musiklehrer mit seiner Komposition „Das Liebeslied des Ochsenfrosches“ genau das richtige Stück für John: „Ich war immer der festen Überzeugung, dass mich Mr Steenwilly, genauso wie jeder andere in meinem elenden Leben, überhaupt nicht kennt. Aber vielleicht kennt er mich doch ein bisschen.“

Trotz der erschütternden Probleme des Ich-Erzählers bringt David Klass seine Leserinnen und Leser mit beißender Ironie, viel Spott und übertriebenen Spitzfindigkeiten zum Schmunzeln und überflutet sie geradezu mit witzigem Wortschwall und originellen Vergleichen. Aus der Sicht seines Protagonisten erzählt Klass von dessen Selbstfindungsprozess. John legt in zunehmendem Maße seine schützende Maske ab, die aus unglaublicher Selbstironie und ans Surreale grenzender Phantasie besteht: Die wirkliche Umwelt vermischt sich mit einer gedachten, glücklicheren. So ist beim Lesen oft nicht leicht, dem jungen Protagonisten in seinen Gedankengängen zu folgen und zu erkennen, was Realität und was nur Fantasie ist. Dennoch: Mehr und mehr lernt man in John – dem Titel zum Trotz – einen liebenswürdigen und verunsicherten Jugendlichen kennen.

Sprachlich und perspektivisch erweist sich „Ihr kennt mich nicht“ als ein außergewöhnlicher Adoleszenzroman. David Klass führt die Leserinnen und Leser in ein Wechselbad aus komischen und bedrückenden Szenen. So wird ein ernstes Thema auf eine Art und Weise aufgegriffen, die gleichzeitig erheitert und schockiert – keine leichte Kost!

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