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„Und bam. Die Pumpe. Die Pfoten. Ida.“

Von Thomas Fischer (2021)

Wie trifft man die Sprache der Jugend, wenn man selber keine Jugendliche mehr ist? Viele beeindruckende Klassiker der KJL wurden von Leuten in fortgeschrittenem Alter verfasst: Mark Twain, Lewis Carroll, Jerome Salinger und Wolfgang Herrndorf hatten alle die Dreißig deutlich überschritten, als sie ihre Held*innen in die Welt hinausschickten. Dennoch haben sie auf sehr unterschiedliche Weise den richtigen Ton getroffen.

Nun hat sich die 36-jährige Autorin Juliane Baldy angeschickt, den Roman Paul aus der Sicht eines 17-jährigen Jungen zu verfassen. Der Titelheld lebt mit seiner Mutter, einer Taxifahrerin, in prekären Verhältnissen in Berlin nahe dem Alexanderplatz und fiebert seiner Volljährigkeit entgegen. Bis dahin ereignen sich jedoch noch eine Menge aufregende und verstörende Dinge. So vermag er beispielsweise endlich seiner Mutter den Namen seines „Erzeugers“ zu entlocken. Es ist ein reicher Kölner Architekt, der seinen Sohn zwar bei einem Spontantrip gastlich in seiner riesigen Schickimicki-Wohnung aufnimmt, sich ansonsten aber eher distanziert verhält. Bei der Rückkehr aus Köln entgeht Paul dann nur um ein Haar beim Trampen einem Triebtäter…

Und natürlich ist der Siebzehnjährige auch verliebt. Seine Fernbeziehung zu Ida, die in Italien bei Verwandten wohnt, gestaltet sich jedoch schwierig, da Skypen eben nicht den menschlichen Kontakt ersetzen kann (wie Corona uns allesamt gelehrt hat). Zuhause in Berlin bleibt es bei flüchtigen sexuellen Erfahrungen und regelmäßigen kollektiven Besäufnissen. Nur seinem Kumpel Marko kann er sich einigermaßen anvertrauen.

Bald muss Paul eine Reihe von Schicksalsschlägen einstecken: Seine Mutter hat einen neuen Freund, den der Junge selbstverständlich ätzend findet, und alsbald wird ein kleines Geschwisterchen erwartet. Als auch noch die ferne Ida bei einem Badeunfall ums Leben kommt, bricht der Jugendliche zusammen und tritt mit seinem (mutmaßlich homosexuellen) Freund die Flucht an. Wie weit sie wohl kommen werden? Eine Fortsetzung von Pauls Abenteuern würden wir mit Spannung erwarten…

Wir erfahren vom Handel und Wandel unseres Helden durch einen inneren Monolog, der weniger eine Ich-Erzählung als ein Ich-Stottern ist. Vollständige Sätze sind selten; die möglicherweise auch an Arno Schmidt geschulte Autorin versucht, den stream of consciousness ihres Protagonisten (der übrigens gerade nicht ist, was der Klappentext behauptet: „warmherzig“) ungefiltert aufs Papier zu übertragen. Schon vor über hundert Jahren hatte sich das Autorenduo Arno Holz und Johannes Schlaf in den Texten Papa Hamlet und Familie Selicke an solchem Brachial-Naturalismus versucht.

Doch das Erstaunliche an Juliane Baldys Roman ist, dass er funktioniert. Schon nach den ersten Seiten hat man sich an den hyperrealistischen Duktus gewöhnt und erlebt Vatersuche, Fernbeziehung und Alltagsstress sozusagen online mit. Vermutlich trifft dieser Roman wirklich die sprachliche Lebenswelt heutiger junger Leser*innen. In deutschlehrertauglichem Stil würde die Schilderung von Pauls Abenteuern mindestens den doppelten Umfang einnehmen und könnte somit abschreckend wirken. Von dieser Autorin, die bislang außer dem Roman Paul erst ein Theaterstück mit dem originellen Titel Sieben Lagen Knoblauch Scharf verfasst hat, ist noch viel zu erwarten.

Baldy, Juliane
Paul
Frankfurt am Main: Frankfurter Verlagsanstalt (2020)
192 Seiten

Leseprobe:
„Bist du eingecremt, Digger?“
Marko ist schon ne Kanone. Manchmal. Ob ich mit schwimmen will.
„Was denn? Sonnenbrand ist echt der Tod.“
Ewig nicht mehr so gelacht.
„Klingst wie meine Mutter.“
Ich glaube, er findet das alles genauso absurd wie ich. Kumpel haben. Und so. Aber ich frag nicht. Ich frag auch nicht, warum er um alles in der Welt ins Freibad will. Logisch. Sonne tanken. Abhängen. Ist mir schon klar. Aber warum. Hier gibts doch nichts zu gucken.
Marko ist noch weißer als ich. Und hat sogar auf der Brust rote Härchen. Ist nicht so, dass ich ständig andere abchecke, wie die aussehn. Mein ja nur. Und es wär schon gechillter ohne die ganzen Murats um einen rum. Dass die einen auch immer so nerven müssen.
Und dann zieht Marko echt so Bahnen. Und wie der da. Ida fänd das bestimmt nice. Wie der da. Aber ihn nicht. Nein. Mann. Ihn nicht.
„Alles paletti? Kommste rein?“
„Ich schwimm nicht um die Wette.“
„Digger, bist du n Schisser, oder was?“
„Halt die Klappe.“
Spring ich halt. Springen vom Beckenrand verboten. Zwischen die ganzen Murats. Arschbombe. Ich tauche auf, und Marko drückt mich runter. Bis ich ihn zu fassen kriege. So geht das hin und her. Bis. Wie jetzt. Echt. Marko hat voll die Latte. Echt jetzt. Er zieht wieder los. Irre. Kraulen. Der hat eine Kondition. Ich mach die Biege zum Rand. Neben mir zwei Mädels im Burkabadeanzug. Oder wie das heißt. So Ganzkörperdinger halt. Da gibts wirklich nicht viel zu gucken. Dass der Marko da. Voll die Latte. Affig, ich weiß.
„Schon aus der Puste?“
„Halt die Klappe, Mann.“
Er zieht weiter, und ich krieg das nicht, seine Latte nicht aus dem Kopf. Er steht doch voll auf Mädchen. Oder. Bin ich verkorkst. Peinlich, Mann, dass ich da an so Sachen denke.
„Fertig.“
Ich hab ihn gar nicht ankommen sehen. Anschwimmen.
„Das wars?“
„Wollen wir?“
„Was?“
„Futtern.“
„Okie.“
Seite 62f.