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Paulsen, Gary:
Im Winterzimmer
Illustrationen von Regine Tarara
Aus dem Amerikanischen von Brigitte Jacobeit
Frankfurt am Main: Fischer 1999
(Fischer Schatzinsel)
(Erstauflage 1997)
134 S., € 5,45

Paulsen, Gary (Text) und Regine Tarara (Illustration): Im Winterzimmer

Ein Fest der Sinne

von Carmen Schmitt (2000)

Gary Paulsen lädt ein zu einer Reise durch die vier Jahreszeiten auf eine Farm im Norden Minnesotas. Er erzählt vom Frühling, der Zeit des „Schmelzigwerdens“ und der Zeit des Wartens. Warten auf den Sommer, denn dann beginnt das Leben auf der Farm. Arbeit, Arbeit, Arbeit – von morgens früh bis abends spät, für Jung und Alt. „Man könnte schwören es hört nie auf ...“, aber irgendwann hat auch das Säen und Ernten ein Ende. Der Herbst kommt und mit ihm die Zeit des Schlachtens. Erst wenn der Schnee Felder und Wiesen bedeckt, kann die Gemütlichkeit Einzug halten. Die Familie verbringt die langen Winterabende gemeinsam, im einzig warmen Raum der Farm: dem Winterzimmer. Dort, am Kamin, lauschen sie in jedem Jahr den Heldengeschichten vom alten Onkel David.

"Wenn Bücher mehr sein und mehr besitzen und mehr geben könnten, dann hätte diese Buch Gerüche ...“ Es hätte auch Klang und Licht. Aber Bücher haben das nicht. Doch es scheint, als sei dieses Buch anders: Man glaubt, das frisch gemähte Gras oder den dampfenden Stallmist zu riechen, die quiekenden Schweine zu hören und die letzten Strahlen der untergehenden Sonne auf der Haut zu spüren. Dieses sinnliche Erleben ist möglich, weil der Autor – der seine frühe Kindheit selbst im Norden Minnesotas verbrachte – es versteht, Details zu beobachten und in poetischer Weise zu schildern. Liebevoll beschreibt er Figuren und Situationen, wobei kein verklärtes, sondern ein realistisches Bild vom Leben auf der Farm entsteht. Paulsens bemerkenswertes Gefühl für Sprache zeigt sich auch in anschaulichen Vergleichen – Boden weich wie Butter, Schweißtropfen wie feiner Nebel. Ganz nebenbei weist er den Leser sogar auf dieses Stilmittel hin, wenn die Hauptfigur bemerkt, dass sein Vater Sachen immer mit etwas anderem vergleicht, „damit man genauer darüber nachdenkt“.

Verständnis für die völlig fremden Lebenserfahrungen wird durch die gelungene Gestaltung des 11-jährigen Ich-Erzählers Eldon vermittelt, der neben seinen Gefühlen und Gedanken auch seine Umgebung genau beobachtet und beschreibt. Im Unterschied zur Kindheit hier und heute ist sein Leben stark geprägt von der harten Arbeit auf der Farm. Natur und Jahreszeiten strukturieren den Tag und eröffnen auch die eher seltenen Momente der Freizeit. „Im Winterzimmer“ bescherte Gary Paulsen einen renommierten Kinderliteraturpreis der USA: die Newbery-Medal. Die gut gelungene Übersetzung ins Deutsche lässt nichts von der Qualität des Textes verloren gehen. Mit der poetischen Erzählweise harmonieren auch die ausdrucksvollen Schwarzweißillustrationen von Regine Tarara.

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