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Browne, Anthony:
Stimmen im Park
Aus dem Englischen von Peter Baumann
Oldenburg: Lappan 1999
(Erstauflage 1998)
32 S., € 15,90

Browne, Anthony (Text und Illustration): Stimmen im Park

Alles unter einem Hut

von Henning Schmidt (2000)

Ein Spaziergang im Park vertreibt Langeweile und lädt ein zum Durchatmen. Wenn aber der britische Bilderbuchkünstler Anthony Browne dieses Thema gestaltet, kann man sicher sein, nicht nur einer entspannenden Freizeitaktivität zu begegnen. Und so ist es auch: Vier Figuren werden auf ihrem Gang durch den Park so zusammengeführt, dass psychische Situationen in ihrer ganzen Hintergründigkeit wahrnehmbar werden. Browne lässt jede Figur dieselbe Begegnung erzählen. Vier Stimmen sind also zu hören, die sich zu einem polyphonen Ganzen verbinden: Eine strenge Mutter, die mit ihrem Sohn eine reinrassige Labradorhündin ausführt, kommt zuerst zu Wort. Als zweite Stimme meldet sich ein arbeitsloser, melancholischer Vater, unterwegs mit seiner Tochter und einem Mischlingshund. Dann sprechen die Kinder, der einsame, schüchterne Sohn Charles und das lebhafte Mädchen, vom Vater liebevoll Sonnenschein genannt. Die Kinder spielen am Ende miteinander, auch die Hunde tollen umher – nur die Erwachsenen bleiben in sich selbst und ihren Gedanken gefangen.

Die Gefühlswelt der jeweils Erzählenden verdeutlicht der Künstler in den Illustrationen. So zeigt er den Park in verschiedenen Jahreszeiten: Es ist Herbst, während die Mutter spricht, düstere Wintertöne und kahle Bäume stehen für die Traurigkeit des Vaters. April und Wetterwechsel sind es für den Jungen, als er dem Mädchen begegnet, und zu Sonnenschein gehört natürlich sommerlicher Glanz. Sogar der Vater kehrt ein wenig aufgemuntert heim. Da tanzt auf der Straße wahrhaftig der lachende Kavalier von Franz Hals mit Mona Lisa.

Überhaupt sind die Bilder voller visueller Metaphern und optischer Rätsel – für Kinder halten sie eine Fülle von Entdeckungen bereit. Ist das nicht Mary Poppins da am Himmel? Brennt der Busch dort wirklich? Und stecken im Zaun Gesichter oder griechische Vasen? Für Erwachsene anregend sind die vielen Bildzitate aus der Kunst: Magische Spiele mit Licht und Schatten sowie klare Kompositionen erinnern an Werke Edward Hoppers. Andere Fantasien und Wirklichkeiten, die Browne auf dem Papier entfaltet, sind vom Surrealismus geprägt. So erinnert die Laterne im Park an René Margrittes „Reich der Lichter“ (1954). Browne versteht es, das Motiv spielerisch so zu transformieren, dass es sich mit dem neuen Kontext verbindet: Die Laterne trägt einen Hut, der dem von Charles’ Mutter gleicht. Ihre Dominanz und Allgegenwart in der Welt des Jungen erkennt man auch an den hutförmigen Wolken und Bäumen, selbst auf Statuen und Torpfosten kann man das Motiv wieder finden. Ein anderes Bildzitat findet sich in der Zeitung, die der Vater liest: „Der Schrei“ von Edvard Munch (1893) wird hier zum Symbol für die Hilflosigkeit eines Arbeitslosen.

Das erste Bild von Charles ist schraffiert und gleicht dadurch der Federzeichnung von Max in Maurice Sendaks „Wo die wilden Kerle wohnen“ (1968). Beide Bilderbuchautoren greifen das Thema der bedrohten Kindheit auf: Max kann im Traum seinen ,Eigensinn’ befriedigen. Und Charles entkommt im ausgelassenen Spiel mit Sonnenschein dem übermächtigen Schatten seiner Mutter. Das Mädchen strahlt eine Lebensfreude aus, die bis auf die Mutter alle anderen ansteckt. Auf Bäume klettern, wippen, rutschen und turnen an der Kletterstange, das lässt auch Charles seine Traurigkeit für eine kurze Zeit vergessen.

Neben den Zitaten aus der Kunst und anderen Bilderbüchern verwendet der Autor auch eigene Arbeiten. So ist der vor über 20 Jahren erschienene Titel „Ein Spaziergang im Park“ (1979) für das vorliegende Buch um einige Themen und Bildinhalte erweitert worden. Zum Beispiel macht der Autor jetzt auf soziale Unterschiede aufmerksam, die von den Kindern im Buch leichter überwunden werden als von den Erwachsenen. Eine Hochhaussiedlung als sozialer Brennpunkt hat hier nun ebenso Platz wie die sterile Scheinidylle eines Einfamilienhauses im Grünen. Die 1979 noch menschlichen Figuren hat Browne nun durch Gorillas ersetzt, von deren physischer Präsenz er fasziniert ist, wie er selber sagt. Diese Verfremdung bietet den Kindern Gelegenheit, Distanz zu den Charakteren und den durchaus konfliktreich skizzierten Familiensituationen – hier sei auch an Brownes Buch „Der Geburtstagsgorilla“ (1983) erinnert – aufzubauen. Die Schlüsselszene ist jedoch ebenso wie das hoffnungsvolle Ende der Geschichte erhalten geblieben: Charles überreicht Sonnenschein eine Blume als Zeichen der Freundschaft.

Brillant beherrscht Browne die Kunst der (tiefen-)psychologischen Verrätselung: Wie einst als anatomischer Zeichner gestaltet er die Bilder akribisch genau und macht „das Innere sichtbar“. So zeigt er unterschiedliche Facetten ein und derselben ,Realität’ und bietet den Lesenden vielschichtige Deutungsmuster an. Der Text ist an einigen Stellen recht eigenwillig übersetzt worden, was den Lesespaß insgesamt jedoch nicht schmälert. Das Buch wurde 1998 in Großbritannien mit dem Kurt-Maschler-Award ausgezeichnet und stand 1999 auf der Nominierungsliste zum Deutschen Jugendliteraturpreis.

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