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Patricia McCormick:
Verkauft
Fischer Schatzinsel 2008
13,90 €
312 S.
Jugendbuch ab 13 Jahren

McCormick, Patricia: Verkauft 

Handelsware Mädchen

von Claudia Beckers (2008)

Lakshmi lebt in Nepal. Sie wächst in einer kleinen Hütte im Himalaya bei ihrer Mutter auf. Ihr Stiefvater verspielt das wenige Geld, das sie haben, Tag für Tag in der Teestube. Lakshmi träumt davon, sich, ihrer Mutter und ihrem kleinen Bruder ein besseres Leben zu ermöglichen – ohne Schulden, mit genug Essen im Bauch und vor allem einem vor dem Regen schützenden Blechdach über dem Kopf.

Als der Stiefvater wieder einmal alles beim Spiel verloren hat, entscheidet er, Lakshmi an eine vornehme Dame zu verkaufen, angeblich, damit das Mädchen in der Stadt als Dienstmädchen arbeiten kann. „Das ist eine gute Nachricht, Ama“, sagt Lakshmi zu ihrer Mutter. „Dann gibt es hier einen Esser weniger, und ich werde meinen Lohn nach Hause schicken.“

Doch es kommt anders, denn die elegant gekleidete Dame ist Mädchenhändlerin und verkauft die 13-jährige an einen Händler, der sie nach Indien mitnimmt: in eine Welt, die noch weitaus schmutziger und unmenschlicher ist als die, in der Lakshmi bisher zu Hause war. Bereits auf der Fahrt dorthin wird sie konfrontiert mit verwirrenden und bedrückenden Erlebnissen. Diese sind jedoch nur der Anfang: Endstation für das verunsicherte Mädchen ist das „Haus der Heiterkeit“, ein dunkles, heruntergekommenes Bordell. Als Lakshmi dort entdecken muss, dass man sie belogen hat und nicht ihre Arbeitskraft, sondern ihr Körper verkauft wurde, ist es zu spät. Unter der Fuchtel der grausamen Bordellbetreiberin Mumtaz wird sie zur Prostitution gezwungen. Als es Mumtaz nicht gelingt, ihren Willen durch psychische und physische Folter zu brechen, wird Lakshmi mithilfe von Drogen gefügig gemacht. Von nun an kommen die Männer …

… und diese „sind alt, jung, schmutzig, sauber, groß, klein, dunkel, hell, bärtig, glatt, dick, dünn.“ Doch für die Protagonistin sind sie alle gleich – all diejenigen, die kommen und 30 Rupien, den Gegenwert für eine Flasche Coca-Cola im Laden von Lakshmis Heimatdorf, für die Befriedigung ihrer sexuellen Gelüste durch junge Mädchen und Frauen bezahlen. Doch die Männer werden für Lakshmi und viele ihrer Leidensgenossinnen ironischerweise zu einem Mittel der Hoffnung – der trügerischen Hoffnung, sich durch die sexuellen Dienste eines Tages von Mumtaz freikaufen zu können und wieder nach Hause zu kommen.

Der Leser muss manches Mal schlucken, wenn Lakshmi über die täglichen Entwürdigungen berichtet, die sie und die anderen Mädchen zu erdulden haben. Sachlich erzählt sie über all die grausamen Begebenheiten, die sie miterlebt: Ein verzweifeltes Mädchen hängt sich auf, ein anderes verschwindet auf Nimmerwiedersehen, einem weiteren wird zur Strafe ein Stock mit Chilipuder in sein Geschlecht gesteckt, lungen- und AIDS-kranke Frauen werden auf die Straße gesetzt.

Patricia McCormick schafft es, das Schicksal Lakshmis zu schildern, ohne dabei ins Plakative und Übertriebene abzurutschen. Das wissbegierige Bauernmädchen aus Nepal hat in der Dorfschule Lesen, Schreiben und Rechnen gelernt, kennt aber nicht mehr als seine eigene kleine Welt. Es erzählt seine Geschichte in tagebuchartigen Berichten selbst und umschreibt mit naiven Worten Gegenstände oder Situationen, deren Bedeutung oder Namen es nicht kennt. So behilft es sich mit eigenen Worten wie „elektrische Sonne“, „Seilbett“ und „elektrische Palmwedel“ für Lampe, Hängematte und Ventilator, was dem Buch Authentizität verleiht. Bezeichnend für die naive, aber auch bewundernswerte Protagonistin ist zudem, dass sie trotz der Ausweglosigkeit ihrer Lage niemals ihre Freundlichkeit und Hoffnung verliert.

Lakshmis Los steht beispielhaft für das Schicksal der ca. 12.000 nepalesischen Mädchen, die jedes Jahr absichtlich oder aus Ahnungslosigkeit von ihren Familien an indische Bordelle verkauft werden. Die Autorin hat mehrere Monate vor Ort recherchiert und mit betroffenen Mädchen und Mitarbeitern von Hilfsorganisationen gesprochen. Das Buch wendet sich gegen die Entrechtung und Entwürdigung der Frau – gegen folgende, in Nepal noch weit verbreitete Sichtweise: „Aber ein Mädchen ist wie eine Ziege. Sie ist so lange gut, wie sie dir Milch und Butter gibt. Aber keiner weint ihr eine Träne nach, wenn die Zeit zum Schlachten gekommen ist.“ Gerade, weil das Buch auf das Leiden der entrechteten Mädchen und Frauen und aufmerksam machen will, ist es schade, dass im Nachwort Hinweise auf die Kontaktadressen, Webauftritte oder Spendenkonten der Hilfsorganisationen fehlen.

„Verkauft“ ist ein Roman, der durchaus zumutbar ist für gleichaltrige Leser, die möglicherweise noch betroffener reagieren werden als Erwachsene. Gut ist daher das Hoffnung machende Ende, denn ein Mitarbeiter einer amerikanischen Hilfsorganisation sucht Lakshmi auf und drückt ihr seine Visitenkarte in die Hand …

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