Kadohata, Cynthia: Kira-Kira
Funkelndes Portrait einer Schwester
von Sarah Marten (2008)
„Auf den Restaurantschildern standen Dinge wie FARBIGE HINTEN. Die weißen Menschen saßen vorne. Wir wussten nicht, wo wir uns hinsetzen durften, deshalb bestellten wir immer zum Mitnehmen.“ Wir, das sind die Schwestern Katie und Lynn und ihre japanischen Eltern. Alle gemeinsam leben sie in den USA. Die hier anklingende Diskriminierungsproblematik in den Südstaaten und ganz konkrete Probleme in Schule und Arbeitswelt die damit zusammenhängen, bilden den blass-dunklen Hintergrund des Jugendromans „Kira-Kira“.
In den Vordergrund malt das japanische Mädchen Katie, in zarten Farben erzählend, ihre Familiengeschichte. In ihre kleinen Anekdoten vom Leben in Iowa und dem Umzug nach Georgia sind immer wieder Charakterisierungen ihrer Familienmitglieder eingewoben, die den Leser schmunzeln lassen und ihm die Familie näher bringen. So erfahren wir, dass ihr nachdenklicher Vater die zerbrechliche, aber strenge Mutter und seine Kinder sehr liebt und immer für sie da ist. Der Onkel dagegen ist ein „komischer Kauz“ und „mindestens so laut, wie der Vater leise“.
Die wichtigste Figur dieses Familienbildes ist allerdings die große Schwester, denn Lynn ist in Katies Augen das mutigste Mädchen der Welt und ein Genie. Das Wort „Kira-Kira“, dass auf japanisch ‚funkelnd‘ heißt, wird durch Lynns Einfluss zum gemeinsamen Symbol für den Zauber der kleinen Dinge des Alltags. Außerdem hatte Lynn Träume vom Meer und vom College und vom eigenen Haus. Anfangs tut, denkt und träumt die erzählende kleine Schwester das Gleiche wie sie, doch dann kommt Lynn in die Pubertät, lernt Freunde kennen und ist ständig müde. So verblasst langsam die Bedeutung des gemeinsamen Wortes „Kira-Kira“.
Durch ihre ewige Müdigkeit nimmt Lynn immer mehr die Aufmerksamkeit der Familie für sich in Anspruch. Erst später beginnt Katie zu verstehen, dass es sich bei der Müdigkeit der Schwester um eine tödliche Krankheit handelt. Diese und die Trauerphase nach ihrem Tod bringt viele emotionale Wendungen mit sich, und lässt nicht nur Katie, sondern auch ihre Eltern wachsen.
Die Geschichte ist chronologisch aufgebaut und wird von einem Zeitpunkt, nach dem Tod der Schwester, aus erzählt. Doch dass die Entwicklung der Geschwister und auch der Krankheit, wie im echten Leben, nicht gradlinig verlaufen, macht die Erzählung so glaubwürdig und liebenswert. So ist Katie als Jugendliche zum Beispiel traurig bei einem plötzlichen Gedanken an ihr längst vergessenes Stofftier. Durch viele Dialoge entsteht ein Gefühl von Nähe zu der japanischen Erzählerin und ihrer Familie. Kommentare wie „Reiskugeln heißen ‚onigiri‘“ und die dazu passende Rezeptbeschreibung bringen dem Leser auch ein Stück der japanischen Sprache und Kultur näher. An anderer Stelle wird ihm auch die Gratwanderung zwischen deren Erhaltung und der Anpassung an die neue Kultur deutlich.
Nach drei Büchern für Erwachsene von Cynthia Kadohata erschien „Kira-Kira“ als erstes ihrer bisher drei Kinderbücher 2004 in den USA. Der Klappentext verrät, dass sie als Tochter eines japanischen Vaters, der Arbeiter in einem Geflügelzuchtbetrieb war, und einer amerikanischen Mutter in Georgia aufgewachsen ist. Diese Parallelen zu ihrem Roman lassen vermuten, dass sie einen ähnlichen soziokulturellen Hintergrund kennen gelernt hat. Dieser spielt in den USA der Nachkriegszeit. Japaner galten als Feind und waren besonders den Diskriminierungen ausgesetzt. Mit diesem Wissen erscheint dem Leser das Bemühen der Romanfamilie, in der amerikanischen Gesellschaft akzeptiert zu werden, besonders aussichtslos. Der Halt, den sie in der Gemeinschaft mit anderen Japanern und der Familie suchen und erfahren wird deutlich.
Während der Leser am Anfang den Eindruck bekommt, die Vordergrundfigur des funkelnden Portraits sei die große Schwester Lynn, wird am Ende immer klarer, dass es sich um ein Bild der kleinen Schwester handelt, die zu sich selbst findet. Nun weiß Katie nämlich, dass man durch Entschuldigungen seine Würde bewahren kann, dass man durch eigenes Handeln Einfluss auf das Leben und besonders auf seine Schulnoten haben kann und dass es wichtiger ist, für die Lebenden als für die Toten da zu sein. So kann sie jetzt auch allein das „Kira-Kira“ der alltäglichen und doch magischen kleinen Dinge der Welt erkennen.