Wahl, Mats: Ein paar richtig schöne Tage
Zeit für (Selbst-)Begegnungen
von Tanja Vogel (2000)
Zeit sollte man sich nehmen, wenn man diesen Roman des schwedischen Autors Mats Wahl genießen möchte. Den Rahmen bildet eine Woche Wand er- und Angelurlaub, den der 16-jährige Janne mit seinem Vater in Nordschwedens Wäldern verbringt. In ruhigem, bisweilen zeitdehnendem Erzähltempo werden die scheinbar unspektakulären Ereignisse geschildert, wie z. B. die Übernachtungen in einfachen Hütten, das gemeinsame Fischen oder die Unternehmungen mit Vera, ihrer Mutter Lisbeth und deren Lebensgefährten John, die Vater und Sohn im Anglercamp kennen lernen. Der Leser erfährt, dass es für Janne in dieser Freizeit um mehr geht als um „ein paar richtig schöne Tage“. Fragen nach der eigenen (sexuellen) Identität und die damit verbundene Auseinandersetzung mit dem Vater, dessen Liebesaffären Janne belasten, erscheinen als unmittelbare, glaubwürdige Sicht des jugendlichen Ich-Erzählers. Eine wertende erwachsene Erzählinstanz fehlt – wie auch in Wahls anderen Adoleszenzromanen.
Zeit und Ort der Handlung spielen für diese Selbstfindungsprozesse eine große Rolle: Die unverplante freie Zeit sowie die weitläufige, wilde Natur bilden den Freiraum für die wenigen, dafür aber umso intensiver erlebten Begegnungen. Abgesehen von dem schrulligen Angelaufseher Sundin konzentriert sich Jannes Blick auf erotische Aspekte der Personen: das Fremdgehen des Vaters, die homosexuellen Zärtlichkeiten zweier badender Mädchen oder die Spannungen zwischen dem schwerfälligen John und der aufdringlich-lasziven Lisbeth, deren Erotik Janne zugleich anzieht und abstößt. In Abgrenzung zu diesen Partnerschaften erlebt Janne seine eigenen Gefühle und entwirft in der Beziehung mit Vera seine eigene Vorstellung von Liebe.
Die durch das erzählerische Präsens verstärkte Unmittelbarkeit des Erlebens sowie die fast nur beobachtende Erzählhaltung überlassen eine Wertung des Geschehens dem Leser und geben ihm die Freiheit, eigene Deutungsmuster zu finden. So kann man entdecken, dass sich in der Angelthematik Jannes Identitätserfahrungen spiegeln. Die erotisch hoch aufgeladenen Szenen des gemeinsamen Bindens von Angelködern mit Vera sowie der erste große, ohne väterliche Einmischung gefangene Fisch verweisen auf das Erleben eigener Qualitäten und die damit verbundene zunehmend gelassenere Einstellung zum Vater.
Das wirkungsvolle Zusammenspiel von psychologischer und literarischer Vielschichtigkeit und einer in ihrer Kargheit kunstvollen und ohne jedes Pathos auskommenden Sprache lässt diesen Roman darüber hinaus zu einer Begegnung mit Wahls Vorbild Ernest Hemingway werden, dessen Einfluss auch in der stimmigen Übersetzung von Maike Dörries spürbar bleibt.