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  • Titelbild Großansicht:
    „Bloß weil er keine Arbeit hat ...“ Mams fasste nach ihrem Arm, hielt ihn fest. „Bloß kannst du da nicht sagen, Fränze. Da ist viel mehr. Das kann beinahe ein Leben bedeuten.“
    (S. 56)
  • Titelbild Großansicht:
    Stollwerck, Karsten:
    Früher war Papa ganz anders
    Wien u. a.: Jungbrunnen 1997
    124 S.

Sammelrezension "Arbeitslosigkeit als Thema in der KJL"
Härtling, Peter (Text) und Peter Knorr (Illustration): Fränze / Stollwerck, Karsten: Früher war Papa ganz anders

Arbeit! Los!

von Sabine Elias (2000)

„Fränze“ gehört wie „Ben liebt Anna“ oder „Krücke“ zu Härtlings realistischen Kinderromanen. Abermals geht der Autor – wie er sagt – „beherzt und streitbar“ mit der „geschundenen Wirklichkeit“ um: Er erzählt die Geschichte der 12-jährigen, Geige spielenden Franziska, deren Vater plötzlich arbeitslos wird. Dieser verliert Selbstsicherheit und Selbstvertrauen, das Problem wird in der Familie lange tabuisiert, die Konflikte spitzen sich zu, bis Johannes – wahrscheinlich für immer – Frau und Tochter verlässt. Fränze zeigt alle Facetten ihrer Gefühls- und Gedankenwelt, sie reagiert sensibel, wütend, verzweifelt und mit bemerkenswertem Mut und verblüffender Kreativität. Man profitiert von ihrer feinen Beobachtung, die ein stimmiges Bild der übrigen Figuren liefert: Weder gerät der Vater zum verantwortungslosen „Aso“ noch die Mutter zum Mitleid erregenden Opfer. Mit kindlicher Unbefangenheit agiert Fränze, wenn sie etwa in einer U-Bahn-Station für „JOHANNES UND ALLE ARBEITSLOSEN“ Geige spielt. Was als Versuch gewertet werden kann, ein Stück Kindheitsidylle zu bewahren, endet in Desillusionierung: Fränzes Bemühungen stoßen auf Unverständnis und Ablehnung, insbesondere bei den Mitgliedern der Familie. Diese zerbricht schließlich und Fränze muss nicht nur von ihrem Vater, sondern zugleich auch von einem Teil ihrer Kindheit Abschied nehmen.

Viele Kinder schätzen gerade diesen Realismus in Härtlings Kinderbüchern, weil sie sich mit ihren Ängsten und Problemen ernst genommen fühlen. Anderen wiederum sind „die Gefühle der Personen zu stark beschrieben“, ist das Buch „zu echt“. Diesen kommt vermutlich der Titel „Früher war Papa ganz anders“ des Berliner Autors Stollwerk entgegen, der die Thematik weniger schonungslos darstellt. Auch Stollwerk versucht, gesellschaftlichen Realismus mit individueller psychischer Entwicklung zu verbinden und aufzuzeigen, wie eng Selbstsicherheit und soziale Anerkennung an (Erwerbs-)Arbeit gekoppelt sind.

Protagonist des Romans ist der 12-jährige Felix, der mit seiner Mutter und seiner zwei Jahre jüngeren Schwester Therese zusammenlebt. Die Familie hat sich vor einigen Jahren nach der Entlassung des Vaters und eskalierenden Ehekonflikten getrennt. Aus der Sicht von Felix erleben die Lesenden nun die Begegnung mit einem „Penner“, den die Geschwister erst nach einiger Zeit als ihren Vater identifizieren können. Beide reagieren in je unterschiedlicher – leider völlig rollenkonformer und klischeehafter – Weise: Während Therese empathisch Kontakt zu „Papa“ sucht, ihm Job und Wohnung vermitteln will, ist Felix irritiert von dem Vater, der so „ganz anders“ ist als früher: Mal wirkt der Sohn peinlich berührt von den Merkmalen des sozialen Abstiegs, mal wundert er sich über die neuen sozialen Kompetenzen des Vaters, der sich längst nicht mehr so jähzornig und streitsüchtig, sondern feinfühliger und gelassener verhält.

Die Rahmenerzählung wird regelmäßig von (kursiv gesetzten) inneren Monologen des Vaters unterbrochen. Diese zeigen seine Gefühls- und Gedankenwelt recht differenziert. Die übrigen Figuren um Felix wirken dagegen etwas typisiert: Albert, der Schulfreund, Lena, die Nachbarin und erste Liebe, Annette, die Klavierlehrerin. Bisweilen stört der belehrende, leicht schulmeisterliche Ton, Stollwerk verheimlicht keineswegs seine pädagogischen Absichten: „Aber einmal ist fürs Nachbezahlen sein neues Taschengeld ganz draufgegangen. Da hatte er einen Monat gar kein Geld. Das war ätzend.“ Die Sprache ist eher am mündlichen Gebrauch orientiert, wirkt jedoch für ein Jugendbuch merkwürdig steif und einfach. Der Darstellung lässt sich dennoch zugute halten, dass sie den Lesenden Möglichkeiten der Entlastung und Distanzierung anbietet – etwa durch weitere Inhalte und Handlungsstränge wie den leidigen Klavierunterricht oder eine kleine Dreiecksgeschichte und nicht zuletzt durch die Geschwisterkonstellation. So endet der Roman sogar irgendwie hoffnungsvoll: „Felix lauscht dem Regen und denkt an Papa. An Papa, den Tischler und an Papa mit dem grauen Wintermantel. Und daran, dass er morgen mit Therese sprechen muss. Über Papa. Irgendwann schläft er darüber ein.“