Sammelrezension „Klaus Kordons Trilogie der Wendepunkte“
Kordon, Klaus: Der erste Frühling / Vom aufrechten Gang / Die roten Matrosen
Vom aufrechten Gang
von Setsu Kobayashi (1997)
„Trilogie der Wendepunkte" nennt Klaus Kordon die drei Romane, in denen er sich mit den politischen Ereignissen der Jahre 1918/19, 1932/33 und 1945 auseinander setzt. „Am Beispiel derer, die unter den jeweiligen Verhältnissen am stärksten zu leiden hatten, soll Geschichte erzählt werden.“
Die Hauptfiguren seiner Romane leben in einem vom Autor erfundenen Mietshaus im Berliner Wedding. Hier wohnen auch die Gebhardts, die eigentlichen Helden dieser Trilogie. Wie die meisten Familien haben auch sie unter den Auswirkungen des Ersten Weltkrieges zu leiden: Vater Rudi findet nach seiner Rückkehr von der Front keine Arbeit. Die Mutter muss allein die fünfköpfige Familie ernähren.
Fest entschlossen, dem Krieg endlich ein Ende zu bereiten, schließt sich Rudi im ersten Band dem Spartakusbund an. Überzeugt von den Idealen Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts, setzt er sich für die Revolution ein. Helle, sein 13-jähriger Sohn, betrachtet das Engagement des Vaters mit Skepsis und Sorge. Doch es macht ihn auch neugierig auf die Sache, für die sein Vater sogar zu kämpfen bereit ist. Aus Helles Sicht erfahren die Lesenden, wie sich die Ereignisse zuspitzen, wie die politischen Überzeugungen des Spartakusbundes auch für ihn zu Idealen werden. Sie werden Zeuge, wie Helle den siegreichen Aufmarsch der „roten Matrosen“ am 9. November feiert und fassungslos die allmähliche Niederlage der Revolution erlebt.
14 Jahre nach dem Krieg gibt es immer noch Hunger und Arbeitslosigkeit. Die Weimarer Republik ist mit der Situation überfordert. Die Menschen werden immer unzufriedener. Ein Ende der Krise verspricht die NSDAP, die zunehmend an Bedeutung gewinnt. Die KPD hingegen steht mehr und mehr „mit dem Rücken zur Wand“.
Für die Gebhardts ist das Erstarken der Nazis eine niederschmetternde Erfahrung und gefährlich zugleich, was auch der 15-jährige Hans, Helles Bruder, zu spüren bekommt, aus dessen Sicht der zweite Band geschrieben ist. Obwohl ihn Politik nie interessiert hat, gerät er als „einer von den roten Gebhardts“ in eine Schlägerei mit zwei SA-Leuten. Während Hans sich danach offen zu den Idealen seiner Familie bekennt, sagt sich seine Schwester Martha, das Lieblingskind des Vaters, durch ihre Freundschaft zu einem SA-Offizier davon los. Die Situation eskaliert, als dieser sich an der Verhaftung von Helle und dessen Frau beteiligt.
Änne, Helles Tochter, wird von Hans und seiner Mutter vor den Faschisten gerettet. Mittlerweile 12 Jahre alt, ist sie die Hauptfigur des letzten Bandes. Der Zweite Weltkrieg dauert schon fünfeinhalb Jahre. Die Leute haben genug von Hitler. Mit dem Einzug der russischen Soldaten beginnt für Änne „der erste Frühling“ ohne Krieg. Doch der Frieden bringt nicht nur das, was sich die Menschen erhofft haben: Die Gebhardts müssen erkennen, dass sich der Traum vom Sozialismus auch mit den russischen ,Befreiern’ nicht verwirklichen lässt. Vor allem für Helle ist dies eine große Enttäuschung. An den Idealen des 9. November 1918 jedoch hält er fest: ,,So ganz ohne Hoffnung auf eine bessere Welt“ kann er nicht leben.
„Ein Leben ohne Krieg und Not, wie es sich die Revolutionäre von 1918 erhofften, ist auch am Ende unseres Jahrhunderts ein Traum geblieben. Weitergeträumt werden aber muss er. Wer aufgibt, hat schon verloren.“ So formuliert Kordon in seinem Nachwort zum ersten Band. Es wird deutlich, wie sehr er mit seinen Helden und ihren Idealen sympathisiert. Hierfür will er auch die Leser gewinnen. Durch geschickte Wahl der Erzählperspektive werden sie vertraut mit den Protagonisten und lernen deren Gefühle und Sichtweise kennen. Das führt durchaus auch zu einem Identifikationsprozess. Der Leser wird in das Mietshaus mit hineingenommen und nimmt zuhörend teil an den Gesprächen der Bewohner – die Romane leben durch einen hohen Anteil wörtlicher Rede, die mit Dialektausdrücken durchsetzt ist. Eingestreute Zeitdokumente wie Schlager, politische Witze sowie Fotos veranschaulichen den Zeitgeist und die Lebensverhältnisse im damaligen Berlin. Jedem Roman ist ein Glossar mit Erklärungen zu politischen Persönlichkeiten, Ideologien und zeit- bzw. ortsspezifischem Vokabular angehängt.
Kordons Trilogie ist politisch und didaktisch zugleich. Der Autor propagiert seine eigenen politischen Vorstellungen, zeigt aber auch, wie Ideale pervertiert werden können. Dass er damit ein bestimmtes Ziel verfolgt, ist offensichtlich: Er will Jugendliche aufklären „in einer Zeit, da altes nationalsozialistisch gefärbtes Gedankengut verstärkt die Runde macht in Deutschland“. Das tut er in einer Weise, die dazu motiviert, sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit Geschichte auseinander zu setzen.