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Key, Watt:
Alabama Moon
Aus dem Amerikanischen von Jacqueline Csuss
Hamburg: Dressler 2008
352 S.
€ 15,90
Übergangsbuch ab 11 Jahren

Key, Watt: Alabama Moon

Auf in die Wildnis!

von Jane Eschment (2008)

Ein Junge begräbt seinen toten Vater in den weiten, einsamen Wäldern Alabamas. Ein Kreuz stellt er nicht auf, sein Papa hat nie etwas von solchen Dingen gehalten. Lediglich in einen kleinen Stein ritzt Moon die Jahreszahl 1980 und legt ihn auf das frisch zugeschaufelte Grab. Diese beklemmende Anfangssituation von Watt Keys Romandebüt berührt und macht neugierig. Welche Geschichte steckt hinter dem Ich-Erzähler Moon?

Eine kurze Rückblende bringt Licht in die Vergangenheit des Protagonisten. Seit er zwei Jahre alt ist, führt er mit seinem Vater ein Selbstversorgerleben in den tiefen Wäldern von Alabama. Die Wildnis ist sein Zuhause, fern ab von jeglicher Zivilisation wächst er auf. Seine einzige Wahrheit ist die des Vaters, eines Vietnamveteranen und radikalen Regierungsgegners. Moons Kontakte zur Außenwelt bestehen lediglich in den seltenen Besuchen im Laden von Mr. Abroscotto in der nächstgelegenen Kleinstadt.

Moon kann Fallen stellen, Tiere häuten und ausnehmen, er weiß, wie man Unterstände aus Ästen und Blättern baut und wie man sich Kleidung aus Tierfellen näht. Sein Vater hat ihm immer wieder versichert, dass er sich vor niemandem fürchten müsse und alles wisse, um alleine zu überleben.

Ein selbstbewusster und faszinierender Junge ist Moon mit seinen gerade mal zehn Jahren. Nach dem Tod seines Vaters versucht er, dessen Lebensstil fortzuführen und den letzten väterlichen Rat, sich nach Alaska durchzuschlagen, um dort mit Gleichgesinnten zusammenzuleben, in die Tat umzusetzen. Doch kaum ist er aufgebrochen, hat seine Reise bereits ein Ende, und Moon befindet sich in den Fängen des Staates. Personifiziert wird dieser durch den von Minderwertigkeitskomplexen geprägten, brutalen Polizisten Sanders. Vom Gefängnis wird Moon in ein Erziehungsheim gesteckt, welches mit Stacheldraht und Einheitskleidung eher einem Hochsicherheitstrakt ähnelt. Doch der Aufenthalt hat auch etwas Positives: In Kit, einem schmächtigen und schwerkranken Jungen, findet Moon seinen ersten richtigen Freund. Gemeinsam mit Moons anfänglichem Rivalen Hal wird ein Fluchtplan ausgetüftelt. Die drei Jungen verstecken sich tief in den Wäldern eines Nationalparks, und es beginnt ein Katz- und Mausspiel mit dem Polizisten Sanders. Moons Überlebensfähigkeiten in der Wildnis werden immer wieder auf die Probe gestellt. Als es Kit trotz Abenteuerfiebers gesundheitlich immer schlechter geht, fühlt Moon sich schwindelig vor Verlustangst und beginnt, mehr und mehr an den Werten und Einstellungen seines Vaters zu zweifeln. Ist ein autarkes Leben, auf ständiger Flucht vor gesellschaftlichen Institutionen, den Preis der Einsamkeit wert? Kit landet auf der Intensivstation im Krankenhaus, Moon versteckt sich einige Tage gemeinsam mit Hal bei dessen Vater im Wohnwagen. Sie heizen mit dem Auto durch die Gegend, schießen auf Whiskyflaschen, und am Ende bringt Moon einen Satz über die Lippen, von dem er nie gedacht hätte, dass er so etwas je sagen würde: „Bevor ich wieder ganz alleine bin, gehe ich vielleicht doch lieber mit nach Hellenweiler.“ Erziehungsheim statt Leben in der Wildnis?

Watt Keys spannendes Romandebüt erinnert in der erlebnisreich und abenteuerlich beschriebenen Natur an Mark Twains „Huckleberry Finn“. Von der ersten Seite an mag man das Buch eigentlich nicht mehr aus der Hand legen. Selbst in Alabama aufgewachsen, fasziniert Key durch die detailgenauen Beschreibungen der Artenvielfalt. Die gewisse Lagerfeuerromantik, die man besonders als Kind mit einem solch freien Leben verbindet, wird aufgebaut, jedoch nicht naiv mythisiert. Ungeschönt beschreibt Key, welchen Preis man in der westlichen Gesellschaft für ein solches Einsiedlerleben zahlt. Eine literarische Stärke liegt in der Darstellung der vielschichtigen Charaktere, die auf unterschiedliche Weise am Rande der amerikanischen Gesellschaft leben – Personen, die sich bewusst zu Außenseitern machen oder ungewollt dazu gemacht werden. Doch „Alabama Moon“ ist nicht nur ein Abenteuerroman, sondern auch die sensible Entwicklungsgeschichte eines Jungen, der sich von der indoktrinierten Ideologie seines Vaters teilweise ablösen muss, um seine eigene Rolle in der Gesellschaft zu finden. Sehr geschickt und dem Alter seines Protagonisten angemessen, lässt Key diesen Prozess jedoch nicht auf der kognitiv-reflektierenden Ebene ablaufen, sondern verhilft Moon über seine Gefühle in der Freundschaft zu Kit, neue Einstellungen zu entwickeln und Erkenntnisse zu gewinnen. Moon muss nicht alles begreifen, was in ihm und um ihn herum passiert, aber er lernt, seine Gefühle wahrzunehmen und daraus Konsequenzen zu ziehen. Auch wenn sich das Buch auf den letzten Seiten durch ein etwas kitschiges Happyend als typisch amerikanisch outet, bleibt es in der Entwicklung der Geschichte dennoch glaubwürdig, dass Moon am Ende vor einem neuen, einem anderen Leben steht.

Derzeit wird das im Jahr 2006 in den USA erschienene Buch verfilmt. Gegen den Modetrend von Fußballgeschichten in der Jungenliteratur ist „Alabama Moon“ ein fesselnder Abenteuerroman, der definitiv nicht nur zum Lesen motiviert, sondern es vielleicht sogar fertig bringt, Couchpotatoes, Jungen wie Mädchen, vom Sofa raus in den Wald zu locken. 

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