[Sammelrezension „Bjarne Reuter - "Hodder" und die "Buster"-Trilogie“] Reuter, Bjarne: Hodder, der Nachtschwärmer / So einen wie mich kann man nicht von den Bäumen pflücken, sagt Buster / Küss die Sterne! / Das Ende des Regenbogens
Expedition in die Welt der Phantasten
von Melanie Knaetsch (2004)
Der Fakir aus Bilbao, Hodder, Buster Oregon Mortensen … Einige der schönsten Kinderbuchhelden der letzten Jahre stammen aus der Feder des bekannten dänischen Autors Bjarne Reuter. Reuters Helden sind Phantasten, Andersartige und Schelme, die den Leser mitnehmen in ihre ganz eigene Welt. Typisch für viele seiner Helden: Sie müssen mit zahlreichen Problemen zurecht kommen, lassen sich aber nicht unterkriegen, sondern gehen unbeirrt ihren Weg.
So auch der Halbwaise Hodder, zehnjährige Hauptfigur des Kinderromans „Hodder, der Nachtschwärmer“, der im Jahre 2000 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde. Nachts, wenn sein Vater in der Stadt Plakate aufklebt, bleibt er allein mit einer Streuselschnecke zu Hause und träumt sich in eine andere Welt. In eine Welt, in der fast alles möglich zu sein scheint …
… und eines Nachts bekommt er dann plötzlich Besuch von einer Fee. Das Erscheinen der Fee selbst überrascht ihn nicht sonderlich. Vielmehr verwundert es ihn, dass ausgerechnet sie ihm mitteilt: „Du bist der Auserwählte [...] Die Welt erretten wirst du, glücklicher Hodder.“ Hodder vermutet zunächst eine Verwechslung, da er nicht gewohnt ist, zu den Auserwählten zu gehören – wird er doch in der Schule nie gewählt-, nimmt dann den Auftrag der Fee aber sehr ernst und beschließt: „Ich werde mit der Errettung von Guambilua anfangen.“ Dies ist nämlich die kleinste Insel, die er in seinem Atlas ausmachen kann. Nun stellt sich ihm nur noch ein Problem: „Er konnte doch nicht ganz allein bis nach Guambilua fahren. Er musste Leute mitnehmen. Treue Helfer.“ Eine Art Expedition, denkt er sich.
Wie aber soll man ein Expeditionsteam zusammenstellen, wenn einen die Mitschüler nicht mögen und man der Klassenlehrerin mit Fragen, die herzlich wenig mit dem Unterricht zu tun haben, auf die Nerven geht? Wenn man in der Schule ein richtiger Außenseiter ist und immer wieder als Sündenbock herhalten muss?
Gut, wenn man sich dann wenigstens auf seine nächtlichen Gefährten verlassen kann, mit denen man die unglaublichsten Abenteuer erlebt. Und so kann er neben Lola von der Zigarettenreklame auch den schlecht dichtenden Schwergewichtsboxer Big Mac Johnson als Teilnehmer gewinnen.
Geschickt spielt Reuter hier mit realistischen und phantastischen Textelementen. Die Übergänge zwischen beiden Ebenen sind fließend: Die dargestellte Welt, Hodders Welt, besteht gleichermaßen aus Traum und Wirklichkeit. Und so nimmt Hodder seine nächtlichen Phantasiegefährten auch unbekümmert mit hinein in seinen Kinderalltag. In der Schule erzählt er ganz selbstverständlich von der Fee und stößt damit natürlich auf Befremden. Nur Philipp, der stärkste und mutigste Junge der Schule, ist irgendwie fasziniert von Hodder. Ganz langsam bahnt sich zwischen den beiden eine Freundschaft an. Auf der Weihnachtsfeier schließlich teilt Philipp mit Hodder seine Kerze und verhindert damit dessen Ausschluss aus der Klassengemeinschaft. Dies ist dann der Zeitpunkt, an dem sich Hodder von seinen Phantasiegefährten verabschieden kann.
Bjarne Reuter zeigt hier die Überlebensstrategien eines Außenseiters, der erst mit Hilfe der Phantasie seine Einsamkeit überwinden kann. Insofern ist dieser Kinderroman ein wunderschönes Plädoyer für die Kraft der Imagination und eine Aufforderung an alle Nachtschwärmer, ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen.
Eine ähnlich außergewöhnliche Figur wie Hodder hat Bjarne Reuter bereits zuvor entworfen: Buster Oregon Mortensen. Reuters erfolgreiche Trilogie über Buster, den Lebenskünstler, wurde bereits in den 1980er Jahren publiziert (und verfilmt), doch völlig zu Recht erschien 2003 eine Neuauflage der drei Bände.
Der elfjährige Buster ist Sohn einer als asozial abgestempelten Familie: Sein Vater ist ein arbeitsloser Zauberkünstler und Straßenmusiker, der sich in den Alkohol geflüchtet hat und schließlich in einer Entzugsanstalt landet. Die Mutter muss als Putzfrau arbeiten gehen, um das bisschen Haushaltsgeld zu verdienen. Das schwierige soziale Milieu, in dem Buster aufwächst, dient jedoch lediglich als Hintergrund. Buster begegnet den Leserinnen und Lesern als lebenslustiger Schelm, der gelernt hat, aus jeder noch so schwierigen Situation das Beste zu machen, und der sein Leben mit einer Menge Zauberei zu bewältigen versteht.
Buster besticht den Leser durch sein Showtalent, seine Spontaneität und Schlagfertigkeit. So ist er nie um eine pfiffige Äußerung verlegen: „Das stimmt aber, Großer Lars, sagte Buster treuherzig. Ich bin doch Botenjunge für den Milchladen, und damit die Eier nicht kaputtgehen, verschlucke ich sie und behalte sie auf dem Weg zu den Kunden im Magen. Auf die Art kriegen sie keinen Knacks.“
Ebenso witzig und selbstbewusst wie Buster immer wieder reagiert, so souverän geht er auch mit seinem Anderssein um. Anders als Hodder möchte er an seiner Rolle als Außenseiter nichts verändern. Er ist sogar regelrecht stolz darauf, anders als andere zu sein. Und so kann er auch selbstbewusst von sich sagen: „So einen wie mich kann man nicht von den Bäumen pflücken“.
Bjarne Reuter, ein Autor, der seine Leser eintauchen lässt in die Welt seiner Helden, in die Welt der Nachtschwärmer, Phantasten und Schelme.
Leseprobe „Hodder der Nachtschwärmer“
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"Hodder, der Nachtschwärmer" wurde übrigens im Jahr 2002 vom dänischen Regisseur Henrik Ruben Genz unter dem Titel „Hodder rettet die Welt“ verfilmt. Seit Anfang 2004 ist dieser Film auch in den deutschen Kinos zu sehen.
Hodder rettet die Welt
Dänemark 2002
Regie: Henrik Ruben Genz
MFA Filmverleih
Länge: 84 Min