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Schubert, Ingrid und Dieter:
Max oder Seebär und Landratte
Frankfurt a. M.: Sauerländer 1993.
24 S.

Schubert, Ingrid und Dieter (Text und Illustration): Max oder Seebär und Landratte

Jede Menge Seemannsgarn

von Claudia Rathmann (1997)

Max, der alte Seeräuber, sieht genauso aus, wie man sich einen echten Piraten vorstellt: Er ist groß und bärtig, trägt zerrissene Kleidung und eine schwarze Augenklappe. „Ein Schiff hat er nicht mehr, dafür aber ein Haus“ mit Schiffsheck und Galionsfigur, einem Mastbaum und einer Totenkopfflagge.

Für Landratten hat Max nichts übrig. Das bekommt auch Paulchen zu spüren, dessen Drachen eines Tages auf dem Dach des Seeräuberhauses landet. Nur mürrisch hilft der Alte dem Jungen, den ‚gestrandeten’ Drachen zurückzubekommen. Auf ein baldiges Wiedersehen mit Paulchen legt der Seeräuber keinen Wert.

„Doch dann passiert etwas Merkwürdiges: Jeden Tag findet Max nun ein Geschenk vor seiner Tür. Erst weiß Max nicht, wer so was macht. Aber dann auf einmal weiß er es genau.“ Da beginnt er, selbst ein Geschenk zu basteln. Er baut einen Drachen für den Jungen. Aber als dieser endlich fertig ist, liegt plötzlich kein Geschenk mehr vor der Tür. „‚Das ist aber schade’, ruft Max enttäuscht, ‚jetzt, wo ich auch etwas hab!’ ‚Was hast du denn?’ hört er jemanden neben sich fragen. ‚Paulchen, da bist du ja endlich!’ ‚Hast du mich denn vermißt?’ Max nickt heftig.“

Der alte Seebär und die Landratte werden Freunde. Als erste gemeinsame Unternehmung wollen sie Paulchens neuen Drachen steigen lassen. Die passende Schnur dazu hoffen sie in Maxens alter Truhe zu finden, der mit dem vielen „Seemannsgarn“. Statt einer Schnur befördert der Alte jedoch zunächst eine Menge anderer Dinge zutage. Zu jedem Gegenstand kann er dem staunenden Jungen ein spannendes Abenteuer aus seinem Piratenleben erzählen – z. B. von dem Schatz, der von dem Seeungeheuer mit den sieben Riesenarmen bewacht wurde.

Paulchen bewundert Max wegen dieser Abenteuer. So etwas möchte er auch erleben! Deshalb schlägt er ihm vor, ein neues Schiff zu bauen und gemeinsam auf die Reise zu gehen. Davon ist der Seeräuber allerdings gar nicht begeistert. Je mehr Paulchen ihn drängt, desto bleicher wird er – bis er dem Jungen kleinlaut gesteht: „Nix ist wahr.“ Alles nur „Seemannsgarn“!

Die Entzauberung des Helden kommt plötzlich, aber nicht unerwartet, ist doch schon bald klar geworden, dass sich in der harten Schale des Seeräubers ein weicher Kern befinden muss. Wieso sollte sich auch sonst „der bärbeißigste Kerl, den es gibt“, vom Weinen eines kleinen Jungen anrühren lassen? Noch deutlicher wird dies allerdings beim Betrachten der liebevoll, mit vielen Details ausgestatteten Aquarell-Bilder: Maxens Haus beispielsweise ist alles andere als eine Furcht erregende Räuberhöhle. Es wirkt mehr wie die Wirklichkeit gewordene Traum-Piratenhütte eines Kindes. Und wer den Seeräuber mit dem rotgestreiften Piratenhemd allein in der Krone des zum Schiffsmast umfunktionierten Baumes sitzen sieht, bemerkt schnell, dass seine erzwungene Einsamkeit ihn nicht glücklich macht.

Auch im weiteren Verlauf der Geschichte geben die Autoren immer wieder Hinweise darauf, dass der alte Seeräuber ganz anders ist, als er erscheint. Seine Entwicklung und seine Gefühle stehen im Vordergrund der Geschichte. Das zeigt sich auch in der Gestaltung der Bilder. Mimik und Gestik des Seeräubers werden viel differenzierter dargestellt als die Paulchens. Die Betrachtenden können die Befindlichkeit des Piraten buchstäblich an seinen Augen ablesen. Ähnlich wie der Junge bauen auch die Lesenden eine Beziehung zu Max auf. Der etwas unbeholfene und verspielte Alte ist ihnen sympathisch – auch oder gerade weil sie recht schnell ahnen, dass die ‚Geschichten aus der Piratentruhe’ wirklich nichts als Seemannsgarn sind.

Und ganz ahnungslos scheint auch Paulchen nicht zu sein. Auf das Geständnis des verlegenen Alten reagiert der Junge souverän und ehrlich: „Na und? Macht doch nix. Dann erleben wir eben zusammen echte Abenteuer.“ Wenn es doch nur immer so einfach wäre, sich und anderen die eigenen Schwächen einzugestehen und damit umzugehen!

Was die beiden Freunde nun alles zusammen machen, deuten die Autoren am Schluss nur an: „Jeden Tag segeln Max und Paulchen nun über den See. Was meinst du: Werden sie Abenteuer erleben?“ – Wer wollte daran zweifeln?