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Titelbild
Kerner, Charlotte:
Lise, Atomphysikerin
Die Lebensgeschichte der Lise Meitner.
Weinheim u. a.: Beltz & Gelberg 1998.
(Erstausgabe 1986)
198 S., € 16,-.

Auch als TB:
Weinheim u. a.: Beltz & Gelberg 1999.
198 S., € 6,45.

Innerhalb der Biografienreihe des Beltz-Verlages verfasste Kerner weitere Werke und gab das Buch „Nicht nur Madame Curie ... Frauen, die den Nobelpreis bekamen“ heraus. Dieser Sammelband enthält insgesamt dreizehn Biografien über Schriftstellerinnen, Wissenschaftlerinnen und Friedensnobelpreisträgerinnen aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Die Frauen werden nicht nur in ihrem individuellen Lebensrahmen vorgestellt, sondern die biografischen Abrisse vermitteln auch einen Einblick in den jeweiligen Zeitgeist ihrer Epoche und ihres Landes.

Kerner, Charlotte (Hrsg.):
Nicht nur Madame Curie ...
Frauen, die den Nobelpreis bekamen.
Weinheim u. a.: Beltz & Gelberg 1999.
(Erstausgabe 1990)
464 S., € 19,90.

Auch als TB:
Weinheim u. a.: Beltz & Gelberg 2001.
464 S., € 9,90.

Kerner, Charlotte: Lise, Atomphysikerin

Physikerin aus Leidenschaft

von Tanja Krämling (1997)

Das war Lise Meitner (geb. 1878 in Wien, gest. 1968 in Cambridge), Mitentdeckerin der Atomkernspaltung, Verfolgte und Exilantin. Charlotte Kerner liefert in ihrer Biografie ein umfassendes Bild der lange Zeit vergessenen großen Wissenschaftlerin. Entsprechend dem ,Entwicklungsmuster’ Werden – Sein – Bedeuten zeichnet die Autorin kapitelweise Lise Meitners Lebensstationen nach: als höhere Tochter einer Wiener Familie, als Studentin und als gestandene Wissenschaftlerin. In die biografische Erzählung sind zahlreiche, z. T. bislang unveröffentlichte Briefe Meitners eingeschoben, die lebendige Innenansichten ihrer Person eröffnen und die auktoriale Erzählsituation bereichern.

Das so entworfene Lebensbild zeigt Lise Meitner als Frau in einer – gerade in ihrem Bereich – von Männern dominierten Welt. Klein von Statur und beinahe schüchtern bei öffentlichen Vorträgen, erscheint sie doch als willensstarke und politisch wache Persönlichkeit, die stets zu ihren Prinzipien stand.

So war sie bitter von dem opportunistischen Verhalten einiger Kollegen während der NS-Zeit enttäuscht. Ein aus dem Exil geschriebener Brief aus dem Jahre 1945 an Otto Hahn schildert dies eindrucksvoll. Enttäuscht war sie auch über die fehlende Anerkennung ihrer Forschungsergebnisse, die entscheidend für die Entdeckung der Kernspaltung waren. Wusste man in Forscherkreisen um ihre Fähigkeiten, so dauerte es noch eine ganze Zeit, bis ihr Name auch ins Bewusstsein der Allgemeinbevölkerung drang und die Forscherin aus dem Schatten Otto Hahns heraustreten konnte.

Mit ihrem unbeirrten Festhalten an einem bis dahin männlich definierten Beruf stellt Lise Meitner gerade für Leserinnen eine Vorbild- und Identifikationsfigur dar, die selbst heute in der Naturwissenschaft noch Seltenheitswert besitzt. Dabei visiert die Biografie keinesfalls nur ein physikinteressiertes Lesepublikum an. Im Gegenteil: Kerner hätte an der einen oder anderen Stelle Meitners physikalische Erkenntnisse anschaulicher und exakter erläutern können.

Gleichwohl ist die Schilderung des Forscheralltags der Arbeitskollegen Hahn/Meitner in einem als Versuchslabor umgestalteten Holzverschlag spannend zu lesen. Ganz klar liegen die Stärken des Buches in seiner lebendigen Darstellung von Epoche und Zeitgefühl. Schilderungen von Zeitgenossen und Beobachtern versetzen den Leser in die naturwissenschaftliche Aufbruchstimmung zu Beginn unseres Jahrhunderts. Auf diese Weise wird er Zeuge von bahnbrechenden Ereignissen wie beispielsweise der ersten Röntgenaufnahme einer menschlichen Hand. Die Zeitgestaltung – das Buch ist durchgängig im Präsens gehalten – trägt dazu bei, das vergangene Geschehen näher an den Leser heranzurücken und in seiner Vorstellung lebendig werden zu lassen.

Die Biografie dokumentiert ein Stück Frauengeschichte, dargestellt anhand des Lebensweges einer Wissenschaftlerin, die Gleichberechtigung lebte und so auch für nachfolgende Generationen von Frauen den Weg ebnete. Darüber hinaus streift das Buch zeitgeschichtliche Aspekte. Als Jüdin war Lise Meitner von der Politik der Nationalsozialisten persönlich betroffen. Man erfährt, wie ihre Arbeitsmöglichkeiten immer weiter beschnitten wurden. Der drohenden Verhaftung kann sie sich gerade noch durch Flucht nach Schweden entziehen.

Nicht zuletzt handelt es sich bei der Biografie Lise Meitners auch um ein Stück Wissenschaftsgeschichte, das zwar Bewunderung für die so zielstrebige Forscherin erzeugt, andererseits aber auch Fragen aufwirft. Charlotte Kerner streicht Meitners Stellung zur Nutzung der Kernenergie als ambivalent heraus und regt den Leser zum Nachdenken darüber an, welche Verantwortung Forschung heute und in Zukunft tragen sollte.

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