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Röhrig, Tilman:
Robin Hood. Solang es Unrecht gibt
Hamburg: Dressler 1994.
450 S.; € 15,90.

Röhrig, Tilman: Robin Hood. Solang es Unrecht gibt

Solang es Unrecht gibt

von Karin Vach (1997)

„Im Laufschritt verließ er die Lichtung. [...] Nur schnell, er mußte den Wald durchquert haben, ehe die Verfolger das Gebiet abriegeln konnten. Viel Zeit blieb ihm nicht, und mit dem kraftlosen Mädchen kam er langsam voran.“ So beginnt Little Johns Flucht mit seinem Schützling, der neunjährigen Marian. Sie finden Aufnahme in einer Gruppe von Geächteten unter der Führung Robin Hoods.

Die Sage vom König der Geächteten erzählt Tilman Röhrig als spannende Abenteuergeschichte. In eingängiger Sprache entfaltet er die Erlebnisse Robin Hoods und seiner Anhänger, ihre Kämpfe und Bedrohungen durch Intrigen und Verrat.

Den Rahmen der Erzählung bildet die zehnjährige Regierungszeit von König Richard Löwenherz. Auf ihn richtet sich die Hoffnung der unterdrückten Angelsachsen. Doch Richard begibt sich auf einen Kreuzzug und muss das Volk unter der Herrschaft seines verantwortungslosen Bruders zurücklassen. Einigen Kapiteln werden Kurzmeldungen von Richards Kreuzzug vorangestellt. Sie vermitteln ebenso wie die Schilderung der Machtspiele am Hof den Eindruck, es handele sich um einen historischen Roman.

Überraschend neu ist in dieser Fassung die Darstellung Robin Hoods: Röhrig zeigt den Helden aus der Perspektive Little Johns. Der Hüne kann sich mit seiner Ehrlichkeit und Gutmütigkeit zunächst nur schwer auf das listenreiche Handeln Robin Hoods einlassen. Von Johns Bedenken und gemischten Gefühlen erfahren die Lesenden durch seine inneren Monologe. Er ist ein kritischer Beobachter und sagt auch, „wenn was falsch ist, weil das gegen Fehler hilft“. Johns Freundschaft mit Robin ist zugleich eine Auseinandersetzung mit dem Helden und wird zum Leitthema des Buches. Durch die Beziehung zu John zeigt sich, dass Robin eine Person mit Stärken und Schwächen ist, die den Austausch mit dem Freund braucht.

Robin Hoods Vorbild ist zum Beispiel König Artus, von dem einer der Kampfgefährten häufig erzählt. Die Geschichten aus diesem Mythos bieten Robin Orientierung ohne Unterwürfigkeit: „Von William weiß ich, wie es unser alter König Artus gemacht hat. So mache ich es auch und noch ein bißchen besser.“

Ein weiteres Vorbild ist Richard Löwenherz. In der Verehrung seines Königs und in der Treue zu ihm leistet Robin kompromisslos Widerstand gegenüber den machthungrigen Gegnern. Der gewalttätige Umgang des Helden mit den Feinden wird dabei weder verdeckt noch glorifiziert. Der Kampf um Gerechtigkeit ist nicht eindeutig in der Moral. So sind die Lesenden herausgefordert, sich mit den Protagonisten auseinander zu setzen. Anlass dazu bietet auch Marian, die nicht, wie in anderen Fassungen, eine Lady ist. Marian lernt reiten, schießen und lässt sich nichts sagen. „Marian hat ihren eigenen Kopf.“ Das macht sie als Vorbild für Mädchen und Jungen gleichermaßen interessant.

Insgesamt handelt es sich hier hinsichtlich der Struktur und der Sprache um eine eher traditionelle Bearbeitung des Robin-Hood-Stoffes. Ihre Besonderheit besteht in der ungewöhnlichen Darstellung der bekannten Helden. Dies zeigt sich auch am Schluss des Romans: Robin ernennt seinen Nachfolger. Denn „von heute an ist Robin Hood kein Name mehr, sondern eine Würde. Und solang es Unrecht in England gibt, wird es auch einen Robin Hood geben.“

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