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Kuhl, Anke:
Cowboy will nicht reiten
Hamburg: Carlsen 2003
36 S., € 14,-

Kuhl, Anke (Text und Illustration): Cowboy will nicht reiten

Reiter wider Willen

von Johanna Schmid und Meike Ahrens (2004)

Ein Cowboy reitet auf seinem Pferd durch die Prärie, sitzt völlig sicher und entspannt im Sattel und schwingt von Zeit zu Zeit sein Lasso oder macht an einen Saloon gelehnt eine kleine Pause ... So oder ähnlich stellt man sich auf jeden Fall einen waschechten Cowboy aus dem Wilden Westen vor. Und genau deshalb beginnt Anke Kuhl ihr Bilderbuch mit dem amüsant-absurden Satz „Es war einmal ein Cowboy, der war eigentlich gar kein richtiger Cowboy, weil er noch nie im Leben auf einem Pferd gesessen hatte.“

Ein Cowboy, der Angst vorm Reiten hat, hat ein kleines Problem. Einer, der Angst vorm Reiten hat und unfreiwillig auf einem Pferd landet, hat ein großes Problem. „Wenn so ein Tier einmal losrennt, bleibt es womöglich nie wieder stehen“, denkt sich der Cowboy und zieht es vor, mit dem Fahrrad durch die Prärie zu fahren. Dass ihn alle Bewohner seiner Westernstadt deshalb belächeln und ihm sogar die Pferde grimmig hinterher schauen, ist ihm vor lauter Angst ganz egal – ein Fahrrad bleibt wenigstens stehen, wenn man will.

Dass aber nicht immer alles so kommt, wie man es sich wünscht, muss der Cowboy erfahren, als eines Morgens ein riesiges, weißes Pferd in seinem Schlafzimmer steht: „Das ist mir sehr unangenehm“, sagt er und versucht, es aus dem Haus zu entfernen. Wie schwierig es ist, ein großes Pferd aus einem kleinen Fenster im zweiten Stock zu befördern, kann man sich leicht vorstellen, wenn man die entsprechende Bilderfolge näher betrachtet: Mit Säge und Hammer – die Wohnung im völligen Chaos – bricht der Cowboy fast die ganze Wandseite auf und beginnt, das überdimensionale Tier aus dem Fenster zu bugsieren. Und so geschieht es, dass der lange, dünne Cowboy bei dem Versuch, das gefürchtete Tier abzuseilen, auf den Rücken des Eindringlings fällt ...

Im Schlafanzug muss der ängstliche Cowboy auf dem Pferderücken durch das Dorf und die Prärie rasen. Drei Tage und Nächte geht es an Tipis und Kakteen vorbei, doch dann wird die Reise abrupt gestoppt: Als der Reiter wider Willen völlig erschöpft auf dem Pferd einschläft, hört das Pferd in seinem Schnarchen ein deutliches „Brrr“ und bleibt stehen. Nach dieser Erfahrung ist sich der überzeugte Fahrradfahrer sicher: „Nicht alle Pferde sind schlecht. Ich habe großes Glück gehabt, dass ich an eine der wenigen Ausnahmen geraten bin.“

Mit kurzen, oft lapidaren Kommentaren erzählt Anke Kuhl eine witzig-unbeschwerte Cowboygeschichte für Western-Neulinge. „Cowboy will nicht reiten“ ist das dritte Bilderbuch der jungen Künstlerin und entstand im Rahmen des erstmalig vergebenen Troisdorfer Bilderbuchstipendiums 2002. Sie schildert, wie der namenlose Cowboy – mehr zufällig als beabsichtigt – seine Angst überwindet und vom unbeliebten Außenseiter zum echten Cowboy wird.

Die detaillierten, witzigen Bilder und die kurzen Sätze ergänzen sich wechselseitig, indem sie Geschehnisse und Figuren nicht nur abbilden, sondern komisch überzeichnen: ein überdimensionales, eher unförmiges Pferd und ein schmächtiger Cowboy in langer Unterwäsche mit unverhältnismäßig großem Hut zusammen in einem typischen Westernzimmer. Anke Kuhl erweitert die Komik und Absurdität des Textes durch ein Bild, wie es passender nicht sein könnte: Treudoof beäugen sich der dürre Cowboy und der riesige Eindringling; die Westernszenerie wird im Hintergrund durch eine Topfkaktee, ein Hufeisen, ein Karl May Buch und einen Nachttopf ausgesprochen amüsant karikiert. Die Farbpalette, die von ocker-orange über sandfarben bis zu rötlichem braun reicht, unterstreicht die Atmosphäre der staubig-sandigen Prärie. Nur wenige knallige Farbtupfer Sorgen für Abwechslung.

Geschrieben und gezeichnet ist alles mit einem augenzwinkerndem Understatement. Dass der Cowboy mit Schlafanzug durch das Dorf reitet, ist ihm „gar nicht recht“, und als das Pferd hinaus in die Prärie galoppiert, denkt er nur: „Um Himmels willen“. Die Bilder, die an kindliche Zeichnungen erinnern, bemühen sich nicht darum, den Cowboy oder das Pferd realistisch abzubilden – die Darstellung zeichnet sich vielmehr dadurch aus, dass witzige Kleinigkeiten den Text erweitern.

Anke Kuhl verzichtet beispielsweise nicht auf die zahlreichen Details, die an Westernfilme erinnern. Die lange Unterwäsche des Cowboys, Planwagen, Saloons mit der altbekannten Ausstattung an leichten Mädchen und dem typisch zweideutigen Wandschmuck oder Indianer mit Friedenspfeife vor ihren Tipis – auch beim zweiten oder dritten Durchblättern bietet das Buch neue Entdeckungen.

Mit Anke Kuhls Cowboy einen Ausflug in die Prärie zu unternehmen, lohnt sich zweifellos. Außerdem macht das Westernbilderbuch Mut, auch mal etwas zu wagen, wovor man eigentlich Angst hat. Und Angst hat schließlich jeder mal.