Hacks, Peter (Text) und Uwe Häntsch (Illustration): Prinz Telemach und sein Lehrer Mentor (Hörbuch und Buch)
List der Vernunft
von Bettina Hurrelmann (2004)
Das (Hör-)Buch, das hier empfohlen werden soll, greift zurück auf eine der ältesten Geschichten der abendländischen Literatur, die Odyssee. Inhaltlich knüpft es an den Teil des Epos’ an, in dem Homer von der Suche des Telemach nach seinem Vater Odysseus berichtet, der noch immer nicht nach Hause zurückgekehrt ist, obwohl der Sieg über Troja schon Jahre zurückliegt.
Peter Hacks (1928 – 2003), Dramatiker, Erzähler, Lyriker und auch als Kinderschriftsteller berühmt, hat den alten Stoff in eine subtil-ironische, temporeiche und durchaus gegenwartsbezogene Abenteuer-Erzählung umgemünzt. Wichtig ist: Man kann ihren Witz auch dann genießen, wenn man die Odyssee nicht kennt. Die Version als Hör-Buch verdient besondere Empfehlung. Die Schauspielerin Karin Gregorek, die sich als Hacks-Interpretin einen Namen gemacht hat, bietet die Erzähler-Partien so lebendig, die Dialoge so pointiert, dass man sich unmittelbar ins Geschehen hinein versetzt fühlt. Umso unverständlicher, dass der Name der Sprecherin auf der CD nicht angegeben ist!
Hacks ist nicht der erste, der aus dem homerischen Stoff eine Erziehungsgeschichte macht. Aber kaum jemals sind die Abenteuer von Minerva, Göttin der Vernunft, und ihres Zöglings Telemach mit so viel Ironie und Spaß am Fabulieren vorgestellt worden. Telemach, der Königssohn, der unter dem Unwesen der Freier leidet, die seine Mutter Penelope belästigen und ganz Ithaka ausplündern, entschließt sich, den verschollenen Vater aufspüren. Aber er braucht Hilfe. „Mutter“, sagt er, „ich benötige einen Lehrer.“ Just zu der Zeit kann Minerva die zankenden Götter überzeugen, dass die Irrfahrt des Odysseus ein Ende haben müsse. Also bewirbt sie sich um den Posten. Sie verwandelt sich bei Hacks in einen breithüftigen, glatzköpfigen, gelbbärtigen, ganz und gar drittklassigen Pädagogen. Äußerlich! Denn dass dieser Mensch, der sich „Mentor“ nennt, ein Frettchen bei sich führt, das dauernd freche Kommentare von sich gibt, macht schon stutzig. Vor allem aber seine glasklare Antwort auf die Frage „Lebt mein Vater noch?“, die der Prinz allen Bewerbern stellt, lässt aufhorchen.
Telemach, mit seinen elf Jahren ganz der Sohn des listenreichen Odysseus, merkt schnell, dass er sich diesen Lehrer sichern sollte. Und so unbequem-streng der auch mit ihm umgeht – Telemach folgt ihm, da er feststellt, dass Mentors Vorschläge Sinn und Verstand haben. Hacks gestaltet die Abenteuerfahrt der beiden weniger als Heldenstück, denn als Probe auf List und Klugheit. Schon dem uralten Nestor, ehemaligem Kampfgefährten des Vaters, Informationen zu entlocken, verlangt strategisches Verhalten. Nestor spricht in Rätseln, aber ein Hinweis führt zu Kalypso, bei Hacks Bardame und Disco-Besitzerin. Sie hat Odysseus sieben Jahre lang betört und versucht nun, auch Mentor anzubaggern. Dabei verplappert sie sich und verrät, dass Odysseus am gefährlichen Iris-Kap in See stach – ein Seeabenteuer kündigt sich für die drei Verbündeten Frettchen, Telemach und Mentor an. Keine Frage, dass sie auch dieses bewältigen. Sie ergreifen Odysseus und bringen ihn nach Hause, wo er die Freier zu erledigen und die erschöpfte Gattin zu erlösen hat.
Auch das Götter-Spektakel kommt als Hintergrund all der Verwirrungen nicht zu kurz: War es doch Neptun, der Odysseus nicht hatte heimkehren lassen. Denn der hatte den Meeresgott vor Troja als „alter Fischkopp“ beschimpft. Und die Kontrahentin des Neptun, Minerva, warum hatte sie nicht das ganze Unheil in Ithaka einfach mit einem Handstreich hinweggefegt? „Telemach, mein Kleiner“, lässt Hacks die Göttin auf diese Frage antworten, „Erziehung muss sein“.