Sammelrezension „Guus Kuijers Polleke-Bücher“
Kuijer, Guus (Text) und Alice Hoogstad (Illustration): Wir alle für immer zusammen / Es gefällt mir auf der Welt / Das Glück kommt wie ein Donnerschlag
Polleke hat Power
von Maren Hahnenkamp (2003)
„Mein Lehrer ist in meine Mutter verliebt! Kann man sich etwas Schrecklicheres vorstellen?“ Im Leben der elfjährigen Polleke geht es turbulent zu, und das nicht nur, weil ihre Mutter sich mit ihrem Klassenlehrer eingelassen hat, sondern auch weil Polleke selbst bis über beide Ohren verknallt ist. Pollekes Geschichte, erzählt in den drei Bänden „Wir alle für immer zusammen“, „Es gefällt mir auf der Welt“ und „Das Glück kommt wie ein Donnerschlag“, strotzt nur so vor Lebenslust und Warmherzigkeit.
Insbesondere die Liebe stellt Kuijer in den Vordergrund: angefangen vom ersten Verliebtsein der Protagonistin, ihrer bedingungslosen Liebe zum Vater, der Beziehungskiste der Mutter mit dem Lehrer bis hin zu den beständigen Großeltern. Zudem zeichnet Kuijer ein Bild unserer modernen Gesellschaft, indem er Themen wie Rassismus, Drogensucht, Religion und kulturelle Unterschiede in seine Bücher einfließen lässt. Trotz all der ernsten Themen sind die Polleke-Bände alles andere als Problembücher, bestechen sie doch durch Charme und Witz.
Polleke ist schon seit zwei Jahren in Mimun, einen marokkanischen Mitschüler, verliebt. Bei seinem Anblick wird ihr ganz „schwummrig“. Überhaupt „auf der ganzen Erde und im ganzen Weltall gibt es keinen lieberen Jungen.“ Allerdings sperren sich seine Eltern aus kulturellen Gründen gegen die Freundschaft. Doch an der Zuneigung der unvoreingenommenen Kinder ändert sich zunächst nichts.
Denn Polleke weiß, was sie will: Mimun! Und sie küsst ihn – „jetzt oder nie“! Und wenn ihre beste Freundin Caro auf dem Straßenfest versucht, ihren „orientalischen Prinzen“ zu entführen, dann greift Polleke energisch durch. Denn nur sie tanzt mit ihm und nur sie darf ihn umarmen.
Schließlich macht aber auch die schmerzhafte Erfahrung der Trennung vor Polleke nicht halt. Seit Mimun aus dem Marokkourlaub zurückgekehrt ist, ist alles anders zwischen ihnen. Er beachtet sie nicht mehr und als Polleke ihn knutschend mit Caro im Park erwischt, ist es aus. Da hilft es ihr auch nicht, dass Tom sie anhimmelt, denn den findet sie nur nett. Aber zum Glück gibt es ja noch Consuelo, Pollekes neue mexikanische Freundin, die ihr tröstend zur Seite steht.
Pollekes Eltern sind schon lange geschieden und das Mädchen wächst allein bei ihrer Mutter auf. Auch die steckt im totalen Gefühlschaos, denn sie weiß immer noch nicht, ob sie den Lehrer heiraten soll oder nicht. Aber schließlich ringt sie sich dazu durch, ihm das Ja-Wort zu geben.
Das Verhältnis zwischen Polleke und ihrem Vater Spiek ist vor allem von Warmherzigkeit geprägt. Polleke bewundert ihren Vater über alles. Sie redet sich ein, dass er ein Dichter sei, eifert ihm nach und stellt fest: „Der Unterschied zwischen mir und ihm ist, dass ich Gedichte schreibe. Er nicht.“ Erst nach und nach wird ihr bewusst, dass ihr Vater eigentlich nur ein obdachloser, drogenabhängiger Herumtreiber ist.
Oft übernimmt sie nun Verantwortung für ihn, besorgt ihm neue Kleidung und deckt ihn, als er ihrer Mutter Geld stiehlt. Es scheint, Vater und Kind hätten die Rollen vertauscht. So bewältigt Polleke durch ihre zupackende Art Probleme, denen Erwachsene hilflos gegenüber stehen. Das Mädchen ist die einzige, die noch zu ihrem Vater hält und nicht resigniert. Mit Beharrlichkeit schafft sie es, ihn zu einer Entziehungskur zu überreden. Spiek haut zwar aus der Suchtklinik ab, aber nach einem Selbstfindungstrip in Nepal kehrt er letztlich clean zurück.
Wenn zu Hause eine Katastrophe die nächste jagt, erholt sich Polleke am Wochenende häufig bei ihren Großeltern auf dem Land. Konträr zum nervenaufreibenden Stadtleben kann Polleke hier Kraft tanken. Nicht nur ihre Großeltern, sondern auch Pollekes Kalb, das nach ihr benannt wurde, geben dem Mädchen Rückhalt.
Ihre Großeltern sind schon lange verheiratet, obwohl sie, zu Pollekes großer Verwunderung, anfangs gar nicht ineinander verliebt waren. Denn eigentlich hat ihre Oma nur geheiratet, „um einen Bauernhof zu kriegen“! Dennoch kann ihre Oma sie beruhigen: „Als wir erst einmal verheiratet waren, mochten wir uns mit der Zeit immer lieber. Dann kommt die Liebe schon von selbst.“
Die drei Polleke-Bände sind in etwa gleich aufgebaut: jeweils 14 Kapitel, die mit humorvollen sprechenden Überschriften den Inhalt verrätseln: „Fünftes Kapitel, in dem es darum geht, dass ich lakritzsüchtig bin und dass ich mit Mimun knutsche.“ Von besonderer Bedeutung sind Pollekes Gedichte, die aus dem fließenden Text graphisch durch ansprechende, treffende Bildchen hervorgehoben werden: „Manchmal sind Worte so lieb//dass sie das Herz berühren. Sie sind die Finger von dem Dieb//der kommt, es zu entführen.“ Solche Gedichte, aber auch viele Briefe und Pollekes ganz individuelle Gebete, die sie sich bei ihren gläubigen Großeltern ausdenkt, machen die Bücher nicht nur abwechslungsreich, sondern wirklich außergewöhnlich: „Hokuspokus Fidibus//ich finde, dass Spiek jetzt hier sein muss. Amen.“
Mit Polleke hat Kuijer eine kleine Heldin zum Leben erweckt, die sich durch ein rundum positives Lebensgefühl auszeichnet. Das Verliebtsein, der erste Kuss, aber auch die Trennung im Kontext einer schwierigen Umwelt werden unglaublich warmherzig erzählt. Polleke ist eine phantasievolle Gestalt, die ihre ersten Erfahrungen in Sache Liebe sammelt und die selbstbewusst damit umzugehen weiß, ihre Umwelt hinsichtlich dieses Themas zu interviewen. Die Reise in Pollekes aufregendes Leben garantiert ein hundertprozentig gewinnbringendes Lesevergnügen!