Sammelrezension „Geschichtensammlungen über die Liebe“
Spindler, Rudolf/Timm Klotzek (Hrsg.): Verlieben, Lieben, Entlieben / Gutzschhahn, Uwe-Michael (Hrsg.): Liebe bis aufs Blut / Gutzschhahn, Uwe-Michael (Hrsg.): Sommerliebe
Liebe ist ...
von Christian Bittner (2003)
Ja, wie ist Liebe denn? Auf jeden Fall anders, individuell, einzigartig. Drei Erzählbände für Jugendliche, in denen es 68mal um das Thema Nummer Eins geht. 68 Kurzgeschichten über die Liebe, die Sehnsucht, die Eifersucht und das Scheitern.
Die „Jetzt“, das Jugendmagazin der Süddeutschen, gibt es zwar nur noch im Internet, doch das Sonderheft „Verlieben, Lieben, Entlieben“ aus dem Jahr 2000 wurde in erweiterter Form als gleichnamige Geschichtensammlung herausgegeben. Einzige Bedingung für die fünfzehn jungen, eher unbekannten Autorinnen und Autoren war, die Stadien der Liebe – eben das Verlieben, das Lieben und das Entlieben – darzustellen.
Teilweise hängen diese drei Geschichten zusammen, teilweise nicht, manchmal bleibt der Handlungsort gleich und nur die Perspektive wechselt. Konstant bleibt hingegen die Qualität der Texte. Die fünfzehn Autoren schaffen es, dem Thema Liebe auch im Zeitalter der (Post-)Moderne noch neue Facetten abzugewinnen. Und gut zu unterhalten.
Einziger Wermutstropfen ist die Aufteilung des Buches. Die Geschichten der Autoren werden zerstückelt und in die Kapitel Verlieben, Lieben, Entlieben eingesperrt. Dadurch sollen zwei Lesarten ermöglicht werden: Entweder der Leser folgt den Kapiteln oder blättert mühsam dem Autor hinterher. Kapitelweise zu lesen macht allerdings wenig Sinn: Ohne den Kontext zu den dazugehörigen beiden anderen Teilen verlieren die Geschichten ihren Reiz, wird es schnell langweilig, werden die häufig durchkomponierten Texte der Autoren regelrecht auseinander gerissen. Welchen Sinn macht beispielsweise die Geschichte von Thorsten Schmitz im Kapitel Entlieben ohne die direkte Nachbarschaft zu den beiden vorhergehenden?
„Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft.“ Nein, eifersüchtig ist sie nicht, die Ich-Erzählerin aus Judith Hermanns Kurzgeschichte „Zigaretten“. Sagt sie selbst. Und dennoch pulsiert dieser Satz in ihrem Kopf, wenn er ihr von Constanze erzählt, seiner Ex.
Im Erzählband „Liebe bis aufs Blut“ geht es um die böse, die zerstörerische Stiefschwester der Liebe. Junge, teils schon recht bekannte deutsche Schriftstellerinnen wie etwa Tanja Dückers, Alexa Hennig von Lange oder auch Zoë Jenny beschäftigen sich mit den unterschiedlichsten Formen der Eifersucht:
Auf humorvolle Art erzählt Sylvia Szymanski in „Raffael, Mustafa, Gerd, Heinz und Kurt“ davon, wie schwer es ihrer Protagonistin fällt, sich nur auf einen Mann einzulassen. Natürlich versteht das niemand so recht, dass sie keine Eifersucht auslösen, sondern nur leben will: „Wenn jemand was erlebt da draußen und mit einer Geschichte heimkommt, blendet sich der Gedanke an Eifersucht ganz von alleine in mir aus.“
Doch auch die wirklich tödliche Eifersucht kommt zu Wort. Etwa wenn die Ich-Erzählerin in „Austausch“ (Simone Buchholz) den sich zwischen sie und ihre beste Freundin drängenden Austauschschüler Bruno mit einem verzweifelten Stoß ins Jenseits befördert. Oder, wie in Jenny Erpenbecks Geschichte „Atropa Bella-Donna“, wenn sie ihre Rivalin von den Früchten der Tollkirsche essen lässt.
Diese neun Geschichten des Erzählbands „Liebe bis aufs Blut“, von Uwe-Michael Gutzschhahn wirklich passend und stimmig zusammengestellt, bieten kurzweilige Unterhaltung auf literarisch durchaus beachtlichem Niveau. Von den drei besprochenen Geschichtensammlungen mit Abstand die lohnenswerteste.
Um so ärgerlicher ist die sehr durchwachsene Zusammenstellung von „Sommerliebe“. Gutzschhahn stellt in seiner Auswahl literarischen Anspruch neben triviale Klischeehaftigkeit, aktuellen Zeitgeist neben romantische Kindheits- und Jugenderinnerungen, scheinbar beliebig ausgewählte Romanauszüge neben durchkomponierte Kurzgeschichten. Und der konstruierte Rahmen, nämlich die Sommerliebe, lässt sich längst nicht in jeder Geschichte finden. Neben wirklich schlechten Geschichten wie beispielsweise „Lucertola“ – vom Herausgeber selbst verfasst – gibt es allerdings auch literarische (Wieder-)Entdeckungen zu machen:
Das ‚Erste Mal’ ist zentrales Thema des Romanauszugs aus Carson McCullers „Das Herz ist ein einsamer Jäger“. Nüchtern, nahezu mechanisch sind die Empfindungen der Protagonistin Mick beim ersten Geschlechtsakt: „Ihr war, als hätte man ihren Kopf vom Körper abgetrennt und weggeworfen. Ihre Augen starrten in die blendende Sonne hinauf, während in ihrem Kopf ein Zählwerk zu arbeiten schien. Und dann geschah es. So also war das.“ Auch mehr als 60 Jahre nach der Veröffentlichung ist dieses Werk hochaktuell. Und literarisch ist der Auszug, zumindest in dieser Auswahl, nicht zu übertreffen.
Weitaus amüsanter geht es in Rafik Schamis Erinnerungen an seine Jugend in Damaskus zu. „Aufpassen, Junge, arabische Mädchen werden schon durch den bloßen Blick eines Mannes schwanger. Und beim ersten Kuss bekommen sie Zwillinge.“ Unter solchen Voraussetzungen bleiben fast nur „Liebesübungen“ mit der erfahrenen Nadime, um sich auf die richtigen Schritte bei der eigentlich Angebeteten vorzubereiten.
Des Weiteren werden die klassischen Liebesthemen angesprochen: Der erste gemeinsame Urlaub mit dem Freund, überaus sarkastisch dargestellt von Karen Duve. Die verbotene Liebe zum Lehrer, die Konkurrenz zweier Freunde wegen einer Frau ... Schade nur, dass nicht alle hier versammelten Geschichten von dieser Qualität sind.