Leseprobe „Liebe bis aufs Blut“
Ulis Eltern wohnen am Hang, an so einem Fluss. Bruno geht also zu der Mauer, stellt sich da drauf und pinkelt den Hang runter. Ich wische mir die Tränen ab und gehe hinterher. Weg, denke ich immer nur. Weg, weg, weg. Weg mit dem Monster. Bruno sieht mich kommen und beeilt sich mit dem Pinkeln. Das sieht so dämlich aus, dass ich sogar ein bisschen grinsen muss. „Das ge’ört sisch aber nischt“, sagt er und zeigt mir ein Stirnrunzeln. „Ich weiß“, sag ich, „und das gehört sich auch nicht“, und dabei geb ich ihm einen Schubs und er verliert das Gleichgewicht. „Merde!“, schreit er, und als er fällt, schreit er noch viel lauter, aber irgendwann schreit er nicht mehr. Es ist ganz still auf der Mauer und unten am Fluss auch.
(Simone Buchholz: Austausch. In: Liebe bis aufs Blut. S. 74f.)