Holub, Josef: Der rote Nepomuk
Das Paradies hat (k)eine Chance
von Viola Freitag (1996)
Das haben der Josef und der Lutsch bestimmt nicht gewollt: Angst wollten sie dem Tschechenbuben machen, als sie ihn auf eine im Fluss treibende Eisscholle setzten, doch jetzt treibt die Scholle mit dem Jungen direkt auf das Wehr zu, und wenn er darüber stürzt, „ist er hin“. Wenn jetzt noch etwas helfen kann, dann ein Wunder oder der heilige Nepomuk, „der kennt sich aus im Wasser, der weiß, wie das Versaufen ist“. Und das Wunder geschieht – im letzten Augenblick gelingt es dem Jungen, von der Scholle zurück auf das Land zu springen.
Das Leben von Josef ist von jetzt an komplizierter geworden. Das schlechte Gewissen nagt an ihm Tag und Nacht, und er wartet auf die Vergeltung. Am Ostermontag trifft Josef den Jungen wieder und steckt eine Tracht Prügel ein. Nun sind die beiden „quitt, das Verbrechen am Fluss gibt es nicht mehr“. So beginnt die Geschichte einer ganz besonderen Freundschaft zwischen dem deutschen Jungen Josef, auch Pepitschek genannt, und dem tschechischen Jungen Jirschi.
Schauplatz des Geschehens ist eine Kleinstadt in Böhmen im Sommer 1938, vor dem Einmarsch der Hitlertruppen in die Tschechoslowakei. Das Zusammenleben von Böhmen und Deutschen wird immer angespannter: „Die Sozi“, die einmal das Sagen gehabt haben in der Stadt, die Henlein, die für den Hitler sind, die Tschechen und „wer weiß noch alles sind sich spinnefeind“. Sie grüßen sich nur noch, wenn es niemand sieht.
Allen Zwistigkeiten und Feindschaften zum Trotz haben der Tschechenbub und sein deutscher Freund in diesem Sommer auf einer Insel im Fluss, nahe beim Zigeunerwald, das Paradies gefunden. Hier können sie schwimmen und tauchen, Hütten bauen, sich ungestört über Gott und die Welt unterhalten und träumen. In tiefer Verbundenheit mit sich und der Natur erleben die beiden Jungen auf ihrem Inselparadies den Reichtum echter Freundschaft. „Ich kann nicht dafür, dass mich immer eine Freude streichelt, wenn der Tschechenbub da ist.“
Das Geschehen um sie herum kann ihnen nichts anhaben. Das ganze Durcheinander mit den Tschechen und den Deutschen hat mit den beiden nichts zu tun. „Bis der Teufel eines Tages unser Glück entdeckt und es mit seiner vermaledeiten Hinterhältigkeit zerstören will.“ Unaufhaltsam mischen sich auch in die Kinderidylle Ernst und Gewalt, und am Ende ist nichts mehr, wie es einmal war. „Kaputt. Unsere Insel, die Prärie, das ganze Paradies.“
Josef Holub, 1926 in Neuern im Böhmerwald geboren, erzählt in seinem autobiographischen Roman die Geschichte einer tiefen, gefühlvollen Freundschaft. Aus der Perspektive des 12jährigen Pepitschek beschreibt der Autor anschaulich die Erlebnisse und Gefühle der beiden Jungen und verknüpft sie mit den politischen Ereignissen der Zeit. Mit kindlicher Naivität teilt der Ich-Erzähler dem Leser die scharfsinnig beobachteten Veränderungen in seiner Umgebung mit. Seine Sprache entspricht der eines Heranwachsenden und ist durchsetzt mit komischen Elementen und immer wieder böhmischen Ausdrücken, die jedoch im „Verzeichnis seltener und seltsamer Wörter“ am Ende des Buches erklärt werden.
Die Stationen des Heiligen Nepomuk wirken wie ein Spiegel der fortschreitenden Zerstörung im Land: Zunächst schaut er noch wie seit Jahrhunderten von der Karwanbrücke auf die vielen Sünder, die ins Wirtshaus gehen. Schon bald darauf aber wird er völlig zerschossen von den Freunden aus dem Fluss geborgen. Die Ereignisse nehmen ihren Lauf und am Ende der Geschichtehaben weder das Paradies noch der Brückenheilige eine Chance. „Jetzt liegt der Nepomuk auf dem Haufen Altmetall, denn der Hitler sammelt alles.“ – „Der rote Nepomuk“ erhielt 1993 den Peter-Härtling-Preis.