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Titelbild
Lieshout, Ted van:
Bruder
Aus dem Niederländischen von Mirjam Pressler
Weinheim u. a.: Beltz & Gelberg 2004
(Erstausgabe 1999)
150 S., € 5,90

van Lieshout, Ted: Bruder

Brüder für die Ewigkeit

von Jenny Bodenbender (2001)

„Kannst du noch jemandes Bruder sein, wenn dieser Jemand nicht mehr lebt?“ Diese Frage stellt sich Luuk. Sein jüngerer Bruder Maus ist vor einem halben Jahr an der Wilson’schen Krankheit gestorben. „Mam“ will an dem Tag, an dem Maus 15 geworden wäre, endgültig Abschied nehmen – indem sie seine Sachen verbrennt. Doch Luuk will das nicht einfach hinnehmen. Er versucht, zumindest das Tagebuch des Bruders zu retten, indem er es durch eigene Notizen auch zu seinem macht. Bald beginnen sich die Einträge zu vermischen und es ergibt sich ein sehr inniger ,Dialog’, wie er vor Maus’ Tod nie stattgefunden hatte. Die scheinbar so unterschiedlichen und in getrennten Welten lebenden Brüder finden nun erstmals zusammen. Aussprachen können nachgeholt werden und Luuk erfährt, dass seine Homosexualität bei Maus auf mehr Verständnis gestoßen ist, als er jemals vermutet hätte ...denn auch Maus war homosexuell.

Der 1999 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnete Roman präsentiert eine einfühlsame Geschichte zum Thema Tod in der Familie. Aus kurzen, prägnanten Skizzen entsteht allmählich ein überzeugendes Bild der brüderlichen Beziehung. Nebenbei erfährt der Leser, wie sich durch Maus’ Krankheit und Tod die familiären Strukturen gewandelt haben. Die eingespielten Beziehungen der Familienmitglieder müssen nach dem Verlust des Sohnes und Bruders neu definiert werden. Hierbei wird vor allem deutlich, in welch verschiedener Weise Vater, Mutter und Bruder betroffen sind. Das zeigt sich an ihren unterschiedlichen Arten zu trauern: Die Mutter versucht, ihren Schmerz mit einem radikalen Schlussstrich zu bewältigen, der Vater zieht sich aus dem Familienleben zurück. Luuk hilft vor allem das Tagebuchgespräch über seinen Verlust hinweg. Weil Maus in seinen Einträgen auch Unschönes thematisiert und dem Bruder Vorwürfe macht, muss sich Luuk mit dem auseinander setzen, was zwischen ihnen stand. Durch die Heftigkeit, mit der er die Einträge seines Bruders beantwortet, wird Luuks Ergriffenheit sprachlich gekonnt inszeniert.

Orientierungshilfe für die Lesenden bietet die typografische Gestaltung, die Anteile von Maus sind durch Kursivdruck vom übrigen Text abgesetzt. Die zweifache Tagebuchform erzeugt große Intimität und gestattet den Lesenden eine Schlüssellochperspektive. Am Ende kommt trotz des traurigen Grundtenors Hoffnung auf. Denn Luuk kann sich seine Frage beantworten: „Wenn es nämlich wahr ist, dass mit dir der Bruder in mir gestorben ist, dann ist es ebenso wahr, dass mit dir der Bruder in mir noch lebt. Der Bruder in dir, das bin ich.“

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