zum Inhalt springen

vergrößern:
Thor, Annika:
Ich hätte Nein sagen können
Aus dem Schwedischen von Angelika Kutsch
Weinheim u. a.: Beltz & Gelberg 2000
(Erstausgabe 1998)
160 S., € 4,90

Thor, Annika: Ich hätte Nein sagen können

Wo stehst du?

von Nikola Hahn (1999)

Was sich diesen Herbst in der 6A abgespielt hat, würde Nora am liebsten verdrängen. Alles hatte damit begonnen, dass ihre beste Freundin nach den Sommerferien plötzlich nur noch mit der schönen Fanny zusammensteckte. In ihrem Bemühen, ebenfalls in deren Clique aufgenommen zu werden, sind Nora die Annäherungsversuche der Außenseiterin Karin besonders lästig. Enttäuschung, Eifersucht und Gruppendruck lassen in ihr Aggressionen entstehen, zu deren Entladung sich Karin prima eignet. Wären da nicht auch gegenläufige Gefühle für sie: „Wir hätten Freundinnen sein können, richtige Freundinnen.“ Doch Nora wagt es nicht, den Gedanken zu Ende zu denken, aus Angst, selbst ausgestoßen zu werden. Sie sorgt sich um ihr Image in der Klasse. So bleibt es bei gelegentlichem Mitleid für Karin, wenn die den Spott der Klasse wieder mal wehrlos erträgt. Nora unterstützt sogar die ständigen Attacken gegen Karin, die sich vor allem auf ihre auffällig ausgeprägte Oberweite beziehen: Die Demütigungen eskalieren auf einer Fete – hier machen sich die Mitschüler den größten Spaß daraus, Karin bei einem Spiel zum Entblößen ihres Busens zu drängen. Jutta Bauer gestaltete Entsetzen, Zwiespalt und Voyeurismus dieser grausamen Szene als Titelbild.

Während die meisten Nebenfiguren des Romans eher klischeehaft erscheinen, sind die Hauptfiguren differenzierter dargestellt. Nora verhält sich als Heldin wenig heldenhaft und Karin ist nicht nur Opfer. Kinder können auch in den Schwächen der Figuren einige Empfindungen wahrnehmen und Situationen auf sich übertragen. Wie Nora mit ihren Schuldgefühlen umgeht, und ob es ihr gelingt, erneuten Kontakt zu Karin aufzubauen, bleibt offen.

Annika Thor gelingt es ohne psychologische Erläuterungen sehr anschaulich, menschliche Schwächen verständlich zu machen. Damit lässt sie Kindern Raum, unausgesprochene Erklärungen selbst zu finden. Die Konflikte in der Lebensspanne zwischen Kindheit und Pubertät sind dicht und vielschichtig dargestellt. Besonders aussagekräftig wirken neben treffsicheren Bemerkungen auch nebensächlich erscheinende Gesten. Einsamkeit und Missgunst gehen ineinander über und verstärken sich wechselseitig, bis „Karin plötzlich diejenige war, die zufällig im Weg stand“.

„Ich hätte Nein sagen können“ ist ein emotionsgeladenes Buch, das Leser dazu motiviert, über Eigenverantwortung und den Mut zur Selbstbestimmung nachzudenken. Es erhielt in Schweden den renommierten August-Preis. Ein weiterer Titel der Autorin, „Insel im Meer“, steht derzeit auf der Nominierungsliste zum Deutschen Jugendliteraturpreis.

Leseprobe