Dahms, Anne-Grethe: Abwärts in den Himmel
Jehova sieht alles
von Claudia Rathmann (1999)
„Ruiniert! Du hast etwas ruiniert, und zwar mein Leben, du hast es für Träume verkauft, die sich nie erfüllen werden.“ Wie lange hat die 14-jährige Gitte gebraucht, um ihrer Mutter das zu sagen. Mehr als die Hälfte ihres Lebens hat sie unter dem Zwang religiöser Vorstellungen und mit der Angst vor der fürchterlichen Strafe Gottes leben müssen.
Kurz vor Gittes sechstem Geburtstag zieht eine Familie in das Nachbarhaus ein. Sie erzählen von einer „Neuen Welt“, in der Menschen und Tiere ohne Sorgen in friedlicher Gemeinschaft leben. Gitte findet diese Vorstellung zunächst spannend. Aber: „Wenn du mitkommen willst, musst du auch tun, was Jehova sagt.“ Diesen Weg geht ihre Mutter. Sie zwingt Gitte, ihr ,altes’ Leben völlig hinter sich zu lassen: Weihnachten und Geburtstag werden nicht mehr gefeiert, Treffen bei Freundinnen sind tabu. Selbst Besuche bei der geliebten Oma werden argwöhnisch betrachtet. Stattdessen muss sie täglich „Wahrheiten“ aus dem „Paradiesbuch“ lernen. Ungehorsam wird mit Prügel bestraft, Zweifel werden durch Erzählungen von der Macht der Dämonen und dem Gottesgericht unterdrückt.
Aus Gittes Sicht werden die LeserInnen mit einer „Gemeinschaft“ konfrontiert, die Macht durch Abgrenzung und den Aufbau eines kalkulierten Angstapparates erreicht. Sie nehmen Anteil an Gittes Ängsten und ihrer inneren Zerrissenheit. Mit ihr erfassen sie die Unmenschlichkeit und Verlogenheit des Systems und den Wunsch, sich von dieser Fremdbestimmung zu befreien.
Was genau für Gitte der Auslöser ist, sich gegen das Kollektiv zu stellen, wird bei der Lektüre jedoch nicht deutlich – ebenso wenig wie die Motivation der Mutter, sich der Sekte anzuschließen. Auch sprachlich überzeugt der konventionell erzählte Text nicht. Einige Passagen erscheinen redundant oder zusammenhanglos, bei anderen führt die Verknüpfung zu logischen Brüchen. Die Wortwahl ist für ein Jugendbuch recht einfach und mitunter undifferenziert. Ähnlich verhält es sich mit der Personenkonstellation. Holzschnittartige Figuren werden einander in Schwarz-Weiß-Zeichnung gegenübergestellt.
„Abwärts in den Himmel“ zeigt, wie religiöse Inhalte als psychisches Machtinstrument missbraucht werden. So bietet das Buch – trotz aller Mängel – Möglichkeiten, über Religion ins Gespräch zu kommen und sich mit der eigenen religiösen Sozialisation auseinander zu setzen.
Leseprobe
Zum selben Thema erschienen:
Klein, Robin:
Niemand darf dich hören
Aus dem australischen Englisch von Cornelia Krutz-Arnold.
Würzburg: Arena 1997
184 S., € 5,90.