Sammelrezension „Das doppelte Lottchen - Verfilmungen“
Josef von Baky: Das doppelte Lottchen / Joseph Vilsmaier: Charlie und Louise – Das doppelte Lottchen
Manche Geschichten ...
von Dorothee Ahl, Verena Wingenfeld und Traudl Bünger (1999)
... sind zu schön, um nur einmal verfilmt zu werden. Eine solche ist Erich Kästners „Das doppelte Lottchen“. Die Geschichte der getrennten Zwillinge, die sich zufällig kennen und lieben lernen, die Rollen tauschen und mit Mut und Witz ihre Eltern wieder vereinen, kennt nun wirklich (fast) jedes Kind.
Die erste Verfilmung von Josef von Baky illustriert im Wesentlichen die Buchvorlage. Mehrfach ausgezeichnet, avancierte „Das doppelte Lottchen“ schnell zu einem der erfolgreichsten Familienfilme seiner Zeit. Kästner selbst schrieb das Drehbuch. Im Film führt er in die Geschichte ein, übernimmt die erzählenden Passagen und kommentiert aus dem Off. So wird der humorvoll-ironische Ton der Buchvorlage gewahrt und an einigen Stellen die filmische Dramaturgie unterstützt, wenn etwa bei einem Kochversuch Luises sich Kästners Erzähltempo und die Schnittfolge parallel steigern und so Chaos und Hektik der falschen Lotte veranschaulichen. Bemerkenswert ist der Film auch wegen seiner klaren Symbolik, die Kindern erlaubt, z. B.Lottes Ängste wegen der neuen Freundin des Vaters nachzuvollziehen.
Schon Isa und Jutta Günther konnten ihre Zuschauer davon überzeugen, dass auch kleine Mädchen ihr Leben in die Hand nehmen können. Wer würde Luises empörten „Nur?“, nicht zustimmen, als Lotte sie fragt: „Dürfen wir das denn? Wir sind doch nur Kinder!“ Mit seinem Remake von 1994 wollte Joseph Vilsmaier die Version von 1950 nicht „entthronen“ – hat er auch nicht. Die modernisierte Fassung ist dem Zeitgeist der 90er verpflichtet: Luise und Lotte wurden in „Charlie und Louise“ umgetauft, das Kinderheim in Seebühl am Bühlsee wich einer Sprachenschule in Schottland. Heutige Zwillinge schreiben sich auch nicht mehr postlagernd unter dem Kennwort „Vergissmeinnicht“ und gehen zu einem Fotografen, sondern telefonieren mobil und benutzen eine Polaroidkamera. Diese ,Modernisierung’ geht manchmal zu Lasten der Stimmigkeit. So ist die Mutter zwar emanzipierter und reicher als 1950, ihre Tochter muss aber dennoch die Hausarbeit verrichten.
Die Gegensätzlichkeit der Zwillinge wird eher an Äußerlichkeiten deutlich: Charlie ist der ausgeflippte Teenager mit Walkman und Baseballkappe, Louise ganz die Dame. Charakterliche Unterschiede, die das Verwechslungsspiel im Buch so reizvoll machen, verkommen beinah zur Staffage. Ebenso negativ fällt das schwach motivierte und heute geradezu deplatzierte Happyend auf. Dabei agieren die Zwillinge Fritzi und Floriane Eichhorn selbstbewusst, engagiert und lustig – speziell die Szene, in der die strebsame Louise als vermeintliche Charlie deren Nachprüfung besteht, ist durchaus amüsant.
Überzeugend gefilmt sind auch die Szenen, in denen die Mädchen ihre falschen Heimatorte erreichen, in flotten Schnittfolgen werden Charlie in Hamburg und Louise in Berlin einander gegenübergestellt. So findet der mit dem Prädikat „wertvoll“ ausgezeichnete Film bestimmt auch sein Publikum und macht darüber hinaus vielleicht neugierig auf seine charmanteren Vorgänger.