Das faszinierende Porträt einer desillusionierten Generation
Von Annika Gather (2024)
Tim Hunters 1986 veröffentlichtes Jugenddrama „River´s Edge“ taucht tief in die Abgründe einer amerikanischen Kleinstadt und der menschlichen Seele ein. Eine Leiche am Flussufer, Jugendliche, die ein düsteres Geheimnis hüten, und eine trostlose Atmosphäre bilden den Rahmen für diese provokante Independent-Produktion, die nichts für schwache Nerven ist.
„River's Edge“ erzählt die Geschichte einer Gruppe von Highschool-Schüler*innen in einer kalifornischen Kleinstadt. Samson (Daniel Roebuck) tötet seine Freundin Jamie am Flussufer. Doch anstatt sofort die Behörden zu informieren, beschließt er, die Leiche liegen zu lassen und diese nur seinen Freunden Matt, Layne, Clarissa, Maggie und Tony zu zeigen.
Die Handlung konzentriert sich auf die unterschiedlichen Reaktionen der Jugendlichen auf diese schockierende Tat. Während einige Figuren gleichgültig damit umgehen und nichts unternehmen, zeigt zumindest Matt (Keanu Reeves) eine gewisse moralische Ambivalenz. Die Dynamik in der Freundesgruppe gerät schließlich ins Wanken, als Layne (Crispin Glover) versucht, eine Art Führungsrolle in der Gruppe zu übernehmen und vorschlägt, Samsons Tat geheim zu halten. Er geht sogar so weit, dass er einen gesuchten Verbrecher – gespielt von Dennis Hopper – um Hilfe bittet. So nehmen die Dinge ihren Lauf und stellen die Jugendlichen vor die Frage nach ihren eigenen moralischen Überzeugungen und der Bedeutung von Loyalität gegenüber Freund*innen.
„River´s Edge“ ist ein schonungsloser Film, der sehr direkt die dunklen Seiten der menschlichen Natur und der Adoleszenz offenlegt. Die audiovisuellen Darstellungsmittel tragen maßgeblich zur Intensität des Films bei. Die düsteren Aufnahmen lassen die Handlungsräume kalt und trist wirken, die statische Kamera und das langsame Erzähltempo fangen die trostlose Atmosphäre der Kleinstadt und die emotionale Leere der Jugendlichen sehr gut ein. Dabei nimmt die Kamera immer wieder einen distanzierten Blick ein, wodurch die Apathie der Jugendlichen gegenüber moralischen Herausforderungen und unangenehmen Ereignissen verdeutlicht wird. Gleichzeitig können sich die Zuschauer*innen dadurch von den Ereignissen distanzieren – ohne dass das Interesse am weiteren Handlungsverlauf verlorengeht.
Crispin Glover als Layne verkörpert einen exzentrischen Außenseiter mit beunruhigender Gelassenheit gegenüber moralischen Grenzen. Keanu Reeves überzeugt als desillusionierter Jugendlicher Matt, der zwischen Loyalität und moralischer Verantwortung hin- und hergerissen ist. Matts anfängliche Gleichgültigkeit gegenüber dem Mord schafft znnächs Distanz zu der Figur, jedoch durchläuft sein Charakter im Laufe des Films einen Reifungsprozess, wodurch es für die Rezipierenden leichter wird, sich mit ihm zu identifizieren – im Unterschied zu den meisten anderen jugendlichen Figuren.
Der Film greift typische Themen der Jugend auf: Konflikte unter Jugendlichen und mit den Eltern, Sexualität, Liebe, Gewalt, Identitätsfindung. Tim Hunter gelingt es dabei, die Darstellung jugendlicher Krisen geschickt mit Krimi bzw. Krimielementen zu verweben – wie das ein paar Jahre später z.B. die Serie Twin Peaks aufgegriffen hat. „River´s Edge“ kann hierfür als Inspiration angesehen werden.
Fazit: „River´s Edge“ ist kein Film für Liebhaber*innen von leichter Unterhaltung. Der Film stellt unangenehme Fragen über die Natur der Menschlichkeit und lässt die Zuschauer*innen mit einem Gefühl der Beklemmung zurück. In seiner kraftvollen Darstellung von moralischem Verfall und existenzieller Leere ist der Film jedoch ein Meisterwerk des Independent-Kinos, das lange nachwirkt und zum Nachdenken anregt.