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Hegemann, Helene (Regie): Rezension Axolotl Overkill 

„Draußen sind alle ohnmächtig!“ 

von Christina Fuß und Sofia Hasse (2018) 

 

„Ich will nicht, dass diese schreckliche Hartgeldnutte einen Fall von Lobotomie aus mir macht.“ (Axolotl Roadkill, S. 103)

 

 Ohnmacht, Orientierungslosigkeit und Sehnsüchte treiben die 16-jährige, wohlstandsverwahrloste Mifti im zeitgenössischen Berlin umher: Im pulsierenden, aber zugleich oberflächlichen Nachtleben feiert sich die Protagonistin regelmäßig in Zustände ‚ekstatischer Langeweile‘. Und durch Drogen, Alkohol und Sex entzieht sich Mifti – zwischen Freiheit und bewusster Selbstzerstörung – so gut es eben geht den Zwängen des Erwachsenwerdens. Provozierend und hemmungslos enthüllt Axolotl Overkill auf diese Weise die sozialen Abgründe einer zwar gut situierten, aber auch innerlich ‚kaputten‘ Berliner Gesellschaftsschicht.

 Die gefeierte, aber auch wegen ihres Debütromans Axolotl Roadkill durch Plagiatsvorwürfe scharf kritisierte Autorin Helene Hegemann führte bei der Romanverfilmung Axolotl Overkill selbst Regie. Dabei stellt sie die Figuren in einen Widerspruch zwischen ihrer Performance und ihrem Selbstbild. Schauspielerin Jasna Fritzi Bauer (28) gelingt die Darstellung Miftis durch ein Spiel mit Extremen: Da ‚punktet‘ ‚punktet‘ sie beispielsweise mit Wissen über Gorbatschows Machtantritt und schockiert zugleich mit (bestenfalls) als Nonsense zu bezeichnenden, pseudo-tabu-brechenden Äußerungen wie „vielleicht sollte ich jetzt mal richtig vergewaltigt werden“. Es sind solche Aussagen, welche ein bizarres, teils unnötiges Spiel mit Provokation darstellen, dabei aber schauspielerisch überzeugend wirken. Auch Laura Tonke gelingt eine glaubhafte Darstellung der fürsorglichen und permanent überforderten Schwester Annika. Die rätselhafte Alice (Arly Jover) verkörpert zugleich mit undurchschaubaren Handlungen Liebhaberin und Mutterersatz der Protagonistin. Geheimnisvoll werden ihre Auftritte durch Songs wie Nobody knows the trouble I´ve seen (Louis Armstrong) und White Lies (Robin Loxley & Jay Hawke) untermalt. – Das Untertauchen von Alice kommt unerwartet und bleibt unerklärbar: Diese Szene steht symptomatisch für weitere Ungereimtheiten im Film. Erzählung wie auch Erzählfigur verlieren sich in Orientierungslosigkeit. Zusammenhänge sind wenig greifbar. Zwischenmenschliche Begegnungen werden insgesamt eher spielerisch als realitätsnah inszeniert.

 Im Kern begleiten die Zuschauer*innen die Protagonistin auf der Flucht vor dem Erwachsenwerden, für das der titelgebende Axolotl steht: Der Schwanzlurch befindet sich sein Leben lang zwar in einem geschlechtsreifen, aber zugleich auch larvenähnlichen Stadium – womit der von Mifti avisierte Idealzustand bezeichnet wäre. Insofern lässt sich Axolotl Overkill dem Coming-of-age Genre zuordnen. Mifti setzt sich mit mehr oder minder typischen, durch das Schicht und Berlin-Setting aber verschärften bzw. überzeichneten Adoleszenzproblemen auseinander. Dies schließt unter anderem das Unverständnis ihrer Umwelt wie ihrer Familie mit ein und die daraus entstehende fühlbare Isolation Miftis. – Das, was sie beispielsweise wirklich von ihrem Vater möchte, benennt sie ganz deutlich: „Zuneigung“. Stattdessen richtet dieser seine Aufmerksamkeit lieber auf Themen wie „dem Terrorismus als angemessenem Karriereweg“.

 Schauspielerisch gelungen und provozierend bleibt der Film ohne Nachwirkung. Er beinhaltet keine in sich stimmige Handlung, sondern präsentiert vielmehr eine assoziative Aneinanderreihung von Sequenzen aus Miftis gegenwärtigem Leben. Der Zeitrahmen des Filmes ist sowohl vom assoziativen als auch diskontinuierlichen Erzählen geprägt. Letzteres wirkt auf die Zuschauer*innen teilweise irritierend, erklärt aber zumindest das plötzliche und zugleich für die weitere Handlung überflüssige Auftauchen eines Pinguins, der im Verein mit Lamas und Einhörnern die Zuschauer*innen doch einigermaßen ratlos zurücklässt: Die Postmoderne kann so schön grüßen!