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Das Einzelkind als emotional-sozialer Problemfall?

Von Andre Kagelmann und Helena Trapp

Es gibt einen Zeitpunkt im Leben eines Menschen, an dem ihm bewusstwird, dass die Welt nicht ‚an sich‘ besteht, sondern von Menschen gemacht wird, die Macht haben. In diesem Sinn reflexiv positioniert sich das Debütbilderbuch der vormals nur als Illustratorin in Erscheinung getretenen Corinna Pourian anfangs. Dann aber wechselt die Perspektive en passant zu einer traditionellen Vorstellung von Familienleben in Bezug auf den 'Mehrwert der Geschwisterschar'. So erwächst der auch aus erzählerischem Ungeschick resultierende Eindruck, dass das Einzel- als ‚Alleinekind‘ ein emotional-sozialer Problemfall ist; aber keine Sorge: Wenn es erwachsen wird, kann es sich für zwei, drei, vier Kinder oder für kein Kind entscheiden - nicht aber für nur ein Kind. Das ist auch deswegen schade, weil die Komposition aus typographischen, zeichnerischen und malerischen Elementen, die u.a. eine Verbindung von ligne claire (Buntstift) und ausfransender Tupftechnik (Tusche) wagt, Expressionismus und Wiener Moderne zitiert und durchaus originell und aufgeschlossen anmutet.

Bibliographische Angaben

Pourian, Corinna
Alleinekind
Mannheim: Verlag Kunstanstifter 2024
44 Seiten

Leseprobe:

„Es gibt große Menschen auf dieser Welt. Und es gibt kleine. Die kleinen sind Kinder, die Großen Erwachsene. Die Großen waren früher auch mal klein. Bei ihnen ist schon viel Zeit vergangen.
‚Ich weiß alles über Steine und Regen und du?‘ Die Kleinen sind noch nicht lange hier.
Deshalb wissen sie weniger, sagen die Erwachsenen. […]
Trotzdem fühlt sich das Einzelkind vielleicht allein. Wie ein einzelner Apfelkern.
Dann wird es zum Alleinekind.
Dem Alleinekind ist langweilig, besonders im Urlaub. Allein zu spielen ist, als würde jemand fehlen. Oder das Alleinekind mag es, allein zu sein und nichts teilen zu müssen. Keine Zeit, keinen Apfel, kein Spielzeug und keine Aufmerksamkeit. […]
Das einzige Kind zu sein, mag sich schwer anfühlen. Aber zum Glück haben die Großen sich damals für das Alleinekind entschieden. Sonst wäre es ja auch nicht da. […]“