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Völker, Sven (Illustration und Übersetzung) und Sting (Text):
Da ist heute ein kleiner schwarzer Fleck auf der Sonne
Zürich: NordSüd 2015
18 ungez. Bll., davon 4 mit je einer Ausstanzung
€ 19,99
Bilderbuch ab 7 Jahren

Völker, Sven und Sting: Da ist heute ein kleiner schwarzer Fleck auf der Sonne

Wie fühlt sich Schmerz an?

von Sarah Höink und Anne Germund (2015)

„Schmerz hat viele Farben
und fühlt sich für jeden anders an,
und er ist auch immer neu,
wenn er kommt.“


Der siebenjährige Malo Völker muss wegen einer schweren Nierenerkrankung regelmäßig mit seinem Vater ins Krankenhaus, wo er durch Infusionen und Spritzen immer wieder Schmerzen durchlebt. Um sich auf den langen Fahrten abzulenken, hören die beiden Musik. Eines Tages läuft „King of Pain“ von Sting und seiner Band The Police. Als er das Lied hört und sein Vater ihm den Titel übersetzt, erkennt sich Malo darin wieder: „Das bin ich, ich bin der König der Schmerzen.“ In einem Interview erzählt sein Vater, der Grafiker und Künstler Sven Völker, dass er, berührt von diesem Gedanken, noch am selben Abend beginnt, Illustrationen für Malos Kinderzimmer zu Stings Songtext zu gestalten. Ohne große Erwartungen schickt Völker seine Bilder an Sting nach New York. Dieser ist von den Illustrationen und der Idee, ein Kinderbuch daraus zu machen, begeistert und „Da ist heute ein kleiner schwarzer Fleck auf der Sonne“ entsteht.

Im Prolog schildert Sven Völker Malos Begegnung mit dem Schmerz. Die sprachlichen Bilder, mit denen Sting in „King of Pain“ seinen Trennungsschmerz auszudrücken versucht, überträgt Völker hier auch auf andere Arten des Schmerzes. Aber wie beschreibt man ‚Schmerz‘, ein Gefühl, das sich für jeden anders anfühlt und nur schwer greifbar ist? „Also ich glaube mein Schmerz fühlt sich an, als wäre ich …“ Mit dieser Antwort Malos geht der Prolog in eine sprachliche und grafische Übersetzung von Stings Liedtext über.

Auf den folgenden Doppelseiten lässt Völker diesen letzten Satz des Prologs jedes Mal mit einer neuen, frei ins Deutsche übersetzten, Liedzeile enden, die er in der oberen linken Ecke positioniert. Die dazugehörigen Bilder füllen fast immer die gesamte Doppelseite und leuchten dem Leser mit ihren knalligen Farben und harten Kontrasten entgegen. Für die Grafiken verwendet Völker ausschließlich Dreiecke in unterschiedlichen Größen, die mit ihren spitzen Ecken den Schmerz der Injektionsnadeln assoziieren lassen und damit die Thematik des Buchs unterstreichen. Zusammengesetzt formen sie Mosaike und minimalistische Bilder, die trotz ihrer Einfachheit den Inhalt des Textes treffend widerspiegeln. Ob die Verwendung von Dreiecken in Anlehnung an das Cover der Single „King of Pain“ verwendet wird, das neben Dreiecken auch Kreise und Quadrate enthält, bleibt offen.



Sowohl die sprachlichen als auch die grafischen Bilder beschreiben Schmerz nicht konkret und lassen Raum zur Interpretation. Nicht alle hier dargestellten Facetten des Schmerzes, wie zum Beispiel der in der Baumkrone gefangene schwarze Hut oder das an der Klippe baumelnde Fossil, erschließen sich dem Leser sofort. Um sie tiefgehend erfassen zu können, muss zunächst eine gewisse ‚ästhetische Distanz‘ überwunden und die Frage gestellt werden: Wie würde ich mich in einer solchen Situation fühlen? Was ist für mich Schmerz?

Wer sich ein wenig in der griechischen Mythologie auskennt, wird im Mittelteil des Buches – beziehungsweise in der Bridge des Songs – Parallelen zu den Sagen um die Könige Ödipus und Midas entdecken. Ödipus, „der König auf seinem Thron ganz ohne Augen“, stach sich, nachdem er unwissend seinen leiblichen Vater getötet und seine Mutter geheiratet hatte, mit einer Nadel die Augen aus. Midas hingegen verwandelte durch einen ihm auferlegten Fluch alles, was er berührte, in Gold: Bei Nacht musste er „auf seinem goldenen Bett“ schlafen und bei Tag drohte er an seinem vergoldeten Essen zu ersticken. Mit diesem Hintergrundwissen erschließt sich der tiefere Sinn dieser vier Seiten, die sich sowohl grafisch als auch inhaltlich vom Rest des Buches unterscheiden. Bei dem dargestellten Schmerz handelt es sich um eine besondere Form von Leiden – eine Art doppelter, im Mythischen fußender Schmerz, sowohl physisch als auch seelisch. Grafisch unterstützt wird dies durch die einmalige Verwendung von zwei Liedzeilen auf je einer Doppelseite.

Den kleinen schwarzen Fleck auf der Sonne findet man auf den letzten Seiten des Buches als sechseckige Ausstanzung vor, die aber mit jedem Umblättern eine neue Bedeutung erhält. Während zunächst die Seele von weitem als schwarzer Fleck dargestellt ist, wird dieser schließlich ein paar Doppelseiten später zur Nase des „König[s] der Schmerzen“: die Seele als alldurchdringlich, allgegenwärtig, aber letztlich nicht fassbar.

Sven Völker ist mit „Da ist heute ein kleiner schwarzer Fleck auf der Sonne“ eine visuell und inhaltlich überzeugende Bilderbuchadaption von Stings „King of Pain“ gelungen, die die Betrachter einlädt, sich mit dem Dargestellten sowie dem eigenen Schmerz auseinanderzusetzen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um physischen oder seelischen Schmerz handelt. Malo hat seine Krankheit inzwischen überwunden und Völker arbeitet bereits an seinem nächsten Bilderbuch – vielleicht wieder mit Ohrwurmpotential?

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