Elf Fragen an Reinhard Kleist
Reinhard Kleist „Der Traum von Olympia“ (Interview vom 19.9.16 im Deutschen Olympiamuseum in Köln, anlässlich der Verleihung des Gustav-Heinemann-Friedenspreises an Reinhard Kleist)
1 Warum haben Sie dieses Buch geschrieben und gezeichnet?
Ich bin auf die Geschichte bei einer Recherchereise nach Italien mit dem Goetheinstitut gestoßen, als ich mich dort mit dem Thema „Flüchtlinge aus Afrika“ beschäftigen wollte. Mich hat insbesondere die emotionale Wucht dieser Geschichte fasziniert und es ging gar nicht so sehr darum, dass ich damit eine politische und soziale Intention verbunden habe. Ich wollte einfach nur von diesem Mädchen erzählen, weil mich ihre Geschichte so sehr berührt hat.
2 Wer oder was hat Ihnen beim Schreiben/Zeichnen das Leben gerettet? (Man leidet doch sicher fürchterlich bei diesem kreativen Schaffensprozess?)
Kleist: Man leidet fürchterlich! (lacht)
Seidel: Was hilft?
Kleist: Das waren zum einen die Leute, die mir mit Kontakten behilflich waren, also Interviewpartner. Zum Beispiel hat mir ein Rechtsanwalt aus Frankfurt mit Beziehungen zu somalischen Flüchtlingen, die mir ihre Geschichten erzählt haben, geholfen. Sehr weitergeholfen hat mir auch Elias Bierdel, der ehemalige Chef von Cap Anamur, der die Organisation „Borderline Europe“ gegründet hat. Und dann die Schwester von Samia, die mir erlaubt hat, dieses Werk zu realisieren.
Zudem muss man wissen, dass Comiczeichnen ein Prozess ist, der sehr lange dauert: also in meinem Fall ist ganz viel Recherche und ganz viel Hintergrundarbeit nötig, bevor man überhaupt anfängt zu schreiben. Und dann muss man das Ganze ja auch noch zeichnen... Und was mir da das Leben gerettet hat, waren die Freunde, die mich unterstützt und die mich immer weiter motiviert haben.
Seidel: Gibt es Phasen, die besonders anstrengend sind?
Kleist: Beim Zeichnen selbst bin ich sehr ausgeglichen, auch wenn ich kämpfe und auch wenn manche Sachen schwierig sind.
Bei dem Buch, an dem ich jetzt gerade arbeite, hatte ich enorme Probleme mit dem Schreiben, weil ich so einen hohen dramaturgischen Anspruch hatte. Und wenn dann noch Faktoren aus dem anderen Leben, also aus dem privaten Leben, mit einfließen, dann blockiert sich das gegenseitig und es kann schon mal zu Konfliktsituationen kommen.
3 Was fiel ganz leicht und was war ganz schwer?
Ganz schwer war‘s, eine Geschichte zu schreiben, in der man sich wirklich in die Hauptperson hinein begibt. Für einen weißen, zu dem Zeitpunkt 44-jährigen Europäer, männlichen Geschlechts, fällt es schon sehr schwer, sich in ein Teenagermädchen aus Somalia hineinzuversetzen. Das war eigentlich das Schwierigste an der ganzen Geschichte. Was ganz leicht war, war das Zeichnen. Aber auch da waren wieder Punkte, wo das Zeichnen keinen Spaß gemacht hat und Arbeit gewesen ist. Als ich zum Beispiel die Betrachterin oder den Betrachter nach Mogadischu holen musste und ihr oder ihm zeigen musste, was da in den Straßen los ist… Ich war nie in Mogadischu und ich habe mich auch nicht getraut, da hin zu fahren. Trotzdem muss das ganze ja authentisch sein.
4 Was würden Sie LehrerInnen zu diesem Buch sagen wollen? – Was sollten sie auf gar keinen Fall damit im Unterricht anstellen?
Auf gar keinen Fall Feuer machen! (lacht) – Ich habe in letzter Zeit sehr viele Veranstaltungen in Schulen gemacht, was großartig war und ich kann immer wieder sagen, dass Comics eine tolle Möglichkeit sind, Kinder und Jugendliche an ein Thema heranzuholen. Man sollte da überhaupt keine Berührungsängste haben, weil man jetzt nur Asterix oder Fix und Foxi kennt. Die besten Erfahrungen habe ich gemacht mit Vorträgen auch an schwierigen Schulen: Die Lehrerinnen und Lehrer waren jedes Mal danach total begeistert davon, wie aufmerksam die Kinder zugehört haben – und zwar nicht, weil ich so ein toller Entertainer bin, das bin ich nämlich überhaupt nicht, sondern weil sie Zeichnungen gesehen und dann mitgekriegt haben, dass die Figur wirklich gelebt hat – und das macht die jedes Mal platt. Die Kinder werden so zunächst an den Stoff herangeführt, um dann von da aus in die Tiefe zu gehen.
5 Haben Sie bei diesen Vorträgen oder Lesungen auch die Erfahrung gemacht, dass die RezipientInnen enttäuscht waren, dass es kein Happy End gegeben hat? Und wie gehen Sie dann in dem Moment damit um bzw. ist das überhaupt etwas, mit dem Sie umgehen?
Dummerweise haben meine letzten Bücher beide kein Happy End gehabt, da musste ich dann auch schon bei den Vorträgen manchmal darauf hinweisen, dass es jetzt nicht gut ausgehen wird und das tut mir dann auch immer selber Leid. Im Fall von Samia habe ich das von Anfang an klar gemacht – also schon auf dem Klappentext steht drauf, dass es kein Happy End gibt. Im Fall von Samia ging es auch nicht anders, weil es so passiert ist und deshalb hat die Geschichte auch diese emotionale Wucht. Bei dem, was ich eigentlich mit dem Buch habe sagen wollen, wäre ein Happy End allerdings schon gut gewesen.
6 Was war ihr beruflicher Tiefpunkt – und was war Ihr absolutes Highlight?
2004 lief irgendwie gar nichts, da wollte ich schon einen anderen Job machen und Webdesigner werden – wie gut, dass ich es nicht gemacht habe! (lacht) Ich musste da Storyboardzeichnungen für Werbefilme anfertigen, zum Beispiel für ein Abführmittel… das war, glaube ich, mein beruflicher Tiefpunkt. Und das absolute Highlight war sicherlich, als ich die Arbeit an meinem Johnny-Cash-Comic angefangen habe. Das führte zu meinem Durchbruch. Ein absoluter Höhepunkt war dann ein Konzert auf Bali mit einer balinesischen Johnny-Cash-Cover-Band, bei dem ich gezeichnet und die Band gespielt hat.
7 Der Künstler als Fan – wie unterscheidet sich der Schaffensprozess, wenn Sie Idole thematisieren, die gar noch leben und mitverhandeln (zum Beispiel Cave)?
Nick Cave war ja jetzt der erste, der direkt eingebunden worden ist, denn Cash lebte nicht mehr, Castro lag im Krankenhaus und die anderen waren auch schon tot… – huch! (lacht) alle schon tot! Aber das Nick-Cave-Projekt wollte ich nicht ohne Cave machen, und da ich in Kontakt mit ihm stand und er auch Interesse daran hatte, führte eins zum anderen. Streckenweise war ich ziemlich gehemmt, weil Cave quasi immer hinter mir stand und mir über die Schulter guckte. Und weil ich unbedingt das überzeugende, große Werk machen wollte, stand ich mir manchmal selber im Weg. Jetzt findet er es total super und freut sich immer, wenn ich ihm was zeige, und das hat schon großen Einfluss auf die Arbeit. Es ist auch ein sehr umfangreiches Projekt und ich bin sehr enthusiastisch, weil ich weiß, dass Cave den Comic auch nachher sehen wird. Und er soll den dann auch gut finden.
8 Haben Sie bei Lesungen zu Der Traum von Olympia die Erfahrung gemacht, dass Ihnen vorgeworfen wurde, ein sog. „Islam-Bashing“ zu betreiben oder einen „westlichen“ Blick zu besitzen bzw. zu wenig Kritik an Europa zu üben?
Also da hätte ich auch mit gerechnet, weil ich ja den Islamismus in einigen Szenen kritisiere (aber eben nicht den Islam), jedoch kam das komischerweise nicht. In der Geschichte wird allerdings nicht die Religiosität von Samias Familie thematisiert, weil ich da zu wenige Informationen hatte. Mir war bekannt, dass sie selbst nicht besonders religiös war, aber welche Rolle Religion innerhalb der Familie gespielt haben mag, konnte mir keiner sagen bzw. in dem Gespräch mit Samias Schwester habe ich nicht daran gedacht, danach zu fragen. Europakritik ist in Der Traum von Olympia ja insofern enthalten, als dass Samira am Schluss im Mittelmeer bei einer sogenannten Rettungsaktion ertrinkt. Es handelte sich nämlich um eine „Rettungsaktion“ der Art, dass den Flüchtlingen, die nicht alle schwimmen konnten, lediglich Seile ins Meer geworfen wurden – wenn das ein Rettungsschiff mit deutschen Touristen gemacht hätte, dann wäre der Aufschrei aber groß gewesen!
9 Welcher „Person des öffentlichen Lebens“ würden Sie Der Traum von Olympia zu Weihnachten schenken wollen – und wie sähe die Widmung aus?
Kleist: (lacht)… tja, Frauke Petry vielleicht, aber ich fürchte, auch jede Widmung würde da nichts mehr ändern an der Verbohrtheit von diesen Leuten – ich werfe die jetzt mal in einen Topf mit diesen Parteimitgliedern. Ich glaube, gegen diese Verbohrtheit kommt sehr wenig an.
10 Sie bekommen in zehn Minuten den Gustav-Heinemann-Friedenspreis verliehen (herzlichen Glückwunsch!): Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie?
Das bedeutet für mich sehr, sehr viel! Es geht mir dabei weniger darum, dass es ausgerechnet mein Comic ist, der ausgezeichnet wird, sondern es ist einfach toll, dass überhaupt ein Comic ausgezeichnet wird!
Ich arbeite jetzt seit über 20 Jahren in diesem Business und ich habe immer davon geträumt, den Leuten näher zu bringen, was es im Bereich Comic für tolle Sachen gibt. Und lange Zeit lief es dann in meiner Karriere so, dass immer gesagt wurde „Nee, kannst Du vergessen, Deutschland-Comic, geht gar nicht!!“ Dass Comics in den letzten Jahren in Deutschland eine so große Bedeutung bekommen haben und beispielsweise Der Traum von Olympia jetzt einen Preis erhält, der nicht genuin für Comics ausgeschrieben ist, macht mich total froh! Es bestätigt auch ein bisschen, über was ich mir immer den Mund fusselig geredet habe, wenn ich den Leuten erzählt habe: „Mensch, guck doch mal, das kann so eine Kraft entwickeln, Comics können so eine Bedeutung haben und so eine Schönheit und so eine Sogwirkung!“
11 In der besten aller Welten: wie würden Sie die Begriffe „Europa“, „Flüchtlinge“ und „Lügenpresse“ in ein oder zwei Sätzen verbinden?
In der besten aller Welten würde Europa alle Flüchtlinge aufnehmen und der Vorwurf einer „Lügenpresse“ würde nicht existieren… aber diese haben wir ja leider nicht und ich sehe leider gerade auch keinen Lichtblick.