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Heilt die Zeit alle Wunden? Eine eindrucksvolle und bewegende Geschichte

von Anna Hambach, Ben Inglis, Antonia Miguel, Juliana Scheler, Jana Schommen (2025)

„Für Anna – und alle, die nicht mehr zurückkamen.“ Dieser Satz aus der Graphic Novel „Anna. Was die Zeit nicht heilt“ von Christina Laube und Mehrdad Zaeri ist eine Widmung an die Menschen, die durch den Krieg ihr Leben verloren haben, jedoch in den Erinnerungen und Gefühlen ihrer Hinterbliebenen weiterleben. 

Die Handlung fokussiert die Tochter eines Soldaten im Zweiten Weltkrieg, die in ihrem Heimatort sehnsüchtig auf die Rückkehr ihres Vaters wartet. Als der Krieg jedoch auch ihren Heimatort erreicht, flieht sie mit ihrer Mutter auf einen abgelegenen Bauernhof. Dort begegnet sie Zwangsarbeiter*innen, die ebenfalls auf dem Hof untergebracht sind und auf den Feldern arbeiten müssen. Zu diesen Menschen gehört Anna, eine junge Frau, mit der sich das Mädchen trotz Sprachbarrieren anfreundet. Die beiden teilen kurze, bedeutsame Momente, bevor Anna bei einem Fliegerangriff ebenfalls getötet wird.

Diese Binnenhandlung der Graphic Novel wird durch eine Rahmenhandlung ergänzt: Am Anfang und Ende der Erzählung erscheint das Mädchen als ältere Frau. Diese Perspektive ermöglicht einen Vergleich zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart und bildet eine Brücke zwischen den Erlebnissen eines Kindes und der Reflexion einer erwachsenen Frau. Basierend auf einer wahren Geschichte erzählen Christina Laube und Mehrdad Zaeri von einer Protagonistin, die geliebte Menschen verliert. Der Charakter eines Erinnerungsbuchs entsteht dabei vor allem Illustrationen der Graphic Novel. Der Bildanteil überwiegt den Text, der in kleinen, maschinenschriftartigen Passagen sparsam und gezielt in die Ecken der Bilder eingefügt ist. Die farblosen Illustrationen auf bräunlichem Papier lassen das Buch wie ein historisches Dokument wirken. Nur in Schlüsselszenen, wie etwa einer Tanzszene, bricht die Gestaltung aus diesem Muster aus, wodurch diese Momente besonders hervorgehoben werden.

 Trotz der silhouettenhaften Darstellung der Figuren gelingt es, die Emotionen und die Atmosphäre eindrucksvoll zu vermitteln. Wiederkehrende Symbole wie das Motiv der Schaukel schaffen eine visuelle Verbindung zu den Gefühlen der Protagonistin.

Allerdings fordert die Graphic Novel von ihren Leser*innen Geduld und Aufmerksamkeit. Der Lesefluss wird durch die verstreuten Textpassagen immer wieder unterbrochen, sodass der Fokus auf der Betrachtung der Bilder liegt. Der Text rückt dadurch in den Hintergrund.

Angesichts zeitgenössischer Konflikte, wie dem Krieg in der Ukraine, gewinnt dieses Erinnerungsbuch auch an erschreckender Aktualität. Gefühle wie Verzweiflung, Wut und Trauer, die das Mädchen erlebt hat, lassen sich auch auf die heutige Realität und die Leiden von Menschen in Kriegsgebieten übertragen. Die kleinen Momente des Trostes – etwa die Begegnung mit Anna – können den Schmerz des Mädchens nur lindern, nicht heilen. Das Motiv der Zugvögel verdeutlicht dies eindrucksvoll: Erinnerungen kehren wie Zugvögel immer wieder zurück. Mit ihrer realistischen und sowohl historischen als auch aktuelle Bezüge herstellenden Geschichte sprechen Christina Laube und Mehrdad Zaeri Leser*innen aller Altersgruppen an. Die Graphic Novel bietet ihnen die Möglichkeit, über ihre Erfahrungen nachzudenken und sich mit dem Erlebten  auseinanderzusetzen.
 

Bibliographische Angaben:

Laube, Christina und Zaeri, Mehrdad (Illustrationen)
Anna. Was die Zeit nicht heilt
Frankfurt: Fischer Sauerländer, 2024 
64 Seiten
Jugendbuch ab 12 Jahren

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