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„Du typischer Opferdeutscher: Klein, blond und Scheißfrisur!“ Die Adaption des Bestsellers „Sonne und Beton“ kommt in die Kinos

Von Thomas Fischer (2023)

Mit viel Werbegetrommel und überwiegend guten Kritiken ist die Adaption von Felix Lobrechts Roman „Sonne und Beton“ in die Kinos gekommen. Der Regisseur David Wnendt hat sich dabei eng an die literarische Vorlage gehalten, so dass ein Konflikt mit dem Autor wie einst bei Michael Endes „Unendlicher Geschichte“ nicht zu befürchten ist. Der Verfasser spielt übrigens in einer Nebenrolle mit, was die „Authentizität“ sicher verstärkt …Der brüllend heiße Sommer 2003 in Berlin: Die vier Freunde Lukas, Gino, Sanchez und Julius aus dem sozialen Brennpunkt Neukölln-Gropiusstadt haben Ärger mit einer Drogenbande und müssen schnell viel Geld auftreiben. Dabei fällt ihnen nichts Besseres ein, als in ihre Schule einzubrechen und eine Menge nagelneuer Computer zu stehlen. Ihre hektischen Bemühungen, diese zu klingender Münze zu machen, enden wie zu erwarten in einer tragikomischen Abfolge von Niederlagen. Zum Schluss werden sie von unerwarteter Seite übel abgezockt und können noch froh sein, dem Jugendgefängnis zu entgehen.

Während der erfolgreiche Roman streng aus der Sicht des äußerst unzuverlässigen Erzählers Lukas perspektiviert ist, wird im Film allen vier Jungs die gleiche Aufmerksamkeit zuteil. Besonders Lukas (Levy Rico Arcos) überzeugt durch seine Mimik, die ihn selbst nach einer Prügelei nicht völlig verzweifelt aussehen lässt. Auch Gino (Rafael Luis Klein-Hessling) ist weder klein noch hässlich, sondern wächst im Konflikt mit seinem brutalen Vater – wenn auch mit Hilfe des Aufputschmittels Tilidin – über sich hinaus. Der dunkelhäutige Sanchez, dargestellt von Aaron Maldonado-Morales, weiß sich gegen rassistische Anfeindungen zu wehren. Lediglich der Älteste der Clique, der eitle Macho Julius, wird von dem Bonner Nachwuchsschauspieler Vincent Wiemer etwas überchargiert interpretiert. Dabei hatte er im Jungen Theater Bonn (siehe die Rezension zu „Das letzte Aufgebot“) doch schon seit Jahren eine hervorragende Ausbildung und Routine in vielen (Haupt)rollen erhalten.

Was die Regie betrifft, so hält David Wnendt nichts von Intimsphäre: Die Kamera krallt sich regelrecht in den Gesichtern der Figuren fest und gibt jede Feinheit des Mienenspiels gnadenlos preis. Doch die vier Jung(en)schauspieler halten das aus: Ihre Professionalität und Disziplin sind beeindruckend, ja die pubertierenden Jugendlichen machen zuweilen einen emotional deutlich reiferen Eindruck als die Erwachsenen, die buchstäblich im Hintergrund bleiben: Während man mit den halbwüchsigen Gangstern sympathisiert, sind die Autoritätspersonen ausnahmslos gewalttätige, überforderte Trottel, die (zum Glück) selten in Nahaufnahme gezeigt werden. Die Burschen trauen sich gelegentlich sogar, im sonst von Aggression und Gebrüll geprägten Umgang miteinander Gefühle zu zeigen.

Im Buch wie im Film dient der vorhersehbar katastrophale Plot als Aufhänger für eine gründliche und teilweise erschütternde Milieuschilderung. Man möchte hoffen, es handele sich um eine Dystopie, um eine schaurig-surrealistische Überzeichnung der Verhältnisse im Berliner Subproletariat. Doch der Autor, der selbst in der Gropiusstadt aufgewachsen ist, betont nicht nur den Realismus der Verhältnisse, sondern impliziert sogar einen autobiographischen Bezug mit dem etwas kryptischen Satz „Ich wünschte, ich hätte mir mehr ausdenken müssen“.

Der Erfolg des Romans beruht sicher zum Teil auf der häufigen Verwendung als Schullektüre. Auch für den von mehreren Institutionen geförderten Film sind bereits zahlreiche didaktische Begleitmaterialien erhältlich. Wenn das Werk nächstes Jahr auf DVD erscheint, wird sich also dessen Karriere als überzeugendes (Un)Sittengemälde zweifellos fortsetzen. Da inzwischen auch eine (eher misslungene) Graphic Novel nach dem Roman entstanden ist, lässt sich regelrecht von einem Medienverbund sprechen.

Dass der Streifen trotz zahlreicher schwer erträglicher Gewaltszenen schon ab 12 Jahren freigegeben ist, verwundert ein wenig. Aber wer weiß, ob Jugendliche heutzutage nicht mehr aushalten als gutbürgerlich erzogene Erwachsene…