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Bornhak, Achim (Regie): Der Nachtmahr
Zwischen Vision und Stärke.
Ein Mädchen im Strudel eines Albtraums
von Luisa Mertens und Maria Nikolaidou (2017)


Ein Lärmen, ein Dröhnen, ein Kratzen. Tinas Welt ändert sich schlagartig, als sie nach einer Party plötzlich jede Nacht entsetzliche Albträume erlebt, in denen sie von einer hässlichen Kreatur heimgesucht wird. Woher stammt dieses Wesen und wieso kann niemand außer ihr es sehen? Oder irrt sie sich?

Das Mindgame-Movie „Der Nachtmahr“ handelt von einem gealterten, missgebildeten Fötus, der plötzlich in Tinas Welt auftaucht und ihr seitdem in ihren Träumen begegnet. In einer vermeintlich heilen Welt führt sie ein „wohlbehütetes“ Leben in der Berliner Vorstadt, ist 17 Jahre alt und mitten drin in der Adoleszenz. Ihre Freunde feiern mit ihr exzessive Partys, bei denen es an Drogen und Alkohol nicht mangelt. Der soziale Druck durch Freunde, Eltern und Schule verstärkt nach und nach ihre Albträume und Halluzinationen, sodass ihre Eltern psychologische Hilfe hinzuziehen. Tinas Realität wird immer verschwommener, bizarrer und verzerrter; sie geht langsam an ihren Ängsten zugrunde. Der Film wirkt wie ein einziger Drogenrausch, da Tina immer tiefer in eine Psychose verfällt und somit Realität und Halluzination weiter verschwimmen. Niemand glaubt ihr. Auch als Zuschauer*in kann man aufgrund der sprunghaften und elliptischen Erzählweise nur erahnen, was wirklich passiert und was Tinas Einbildung ist. Dieses Spiel mit der Unzuverlässigkeit und Unschlüssigkeit des Erzählens zieht sich als roter Faden durch den gesamten Film. Allein mit ihrem Psychiater kann Tina über ihre Albträume sprechen. Dieser rät ihr, Kontakt zu dem Wesen aufzunehmen. Als sie schließlich nach langem Hin und Her seinen Rat befolgt, beginnt sich die Beziehung zum Nachtmahr zu verändern …

Der Film wirkt auf seine Zuschauer*innen nicht zuletzt deshalb undurchsichtig, weil jede Figur irritiert. Man will sich mit den Charakteren weder identifizieren noch mit ihnen mitfühlen. So ist die Verbindung zwischen Tina und dem Nachtmahr in erster Linie eine symbolische: Er ist eine Personifikation ihrer Ängste – der Furcht, hässlich, schwach und kindlich zu wirken, sowie der Angst, anders zu sein und nicht mehr die „normale“ Welt zu passen.

Der Filmtitel greift auf einen veralteten Begriff für „Albtraum“ zurück, welcher von dem englischen Wort „nightmare“ abgeleitet wurde. Darüber hinaus steht die Figur des Nachtmahrs als Sagengestalt in einer langen Tradition, die bis in die deutsche Romantik zurückreicht. Der Film „Der Nachtmahr“ ist der erste Teil einer dämonischen Trilogie des Regisseurs Achim Bornhak alias Akiz, die von Geburt, Liebe und Tod handelt. Eindrucksvoll ist insbesondere die filmische Inszenierung: Die realitätsnahe, fast dokumentarische Kameraführung entsteht durch die Verwendung der Weitwinkelperspektive und den Verzicht auf zusätzliche Beleuchtung. Das vorhandene Licht flackert stellenweise unangenehm penetrant, sodass eine extrem beklemmende Atmosphäre ensteht. Durch diese Effekte wird Tinas subjektive Wahrnehmung betont, was beim Zuschauen auf Dauer auch anstrengend werden kann. Durch den Wechsel von Tonabbrüchen und plötzlich einsetzende, dröhnende Musik wird die Aufregung zusätzlich gesteigert. Letztlich versucht der Film, seinen Zuschauer*innen durch seine Filmästhetik bestimmte Emotionen aufzuzwingen.

Die zentrale Frage, die einen während des Zuschauens begleitet, ist, ob die anderen Figuren in der erzählten Welt neben Tina das fötus-ähnliche Wesen ebenfalls sehen können. Der Film bleibt hier jedoch bis zum Ende offen für Interpretation und die Frage unbeantwortet. Die Zuschauer*in wird vor die komplizierte Aufgabe gestellt, die Handlung zu einem kohärenten, sinnhaften Ganzen zusammenzufügen. Dabei hilft es, die mannigfaltige Symbolik – wie zum Beispiel Tinas Wechsel (sowohl kleidungstechnisch als auch mental) zwischen ’visions’ und ’strength’ – zu entdecken und zu deuten.

Mit dem Genreexperiment „Der Nachtmahr“ hat Akiz einen Film im Zwischenreich von Realität und Fantasie geschaffen, welcher für Jugendliche ab 14 Jahren durchaus sehenswert sein kann.