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„Ich bin doch kein Kind mehr!“ Die elfte Verfilmung des Romanklassikers „Der geheime Garten“ von Frances Hodgson Burnett liegt jetzt als DVD vor

von Thomas Fischer (2021)

Die verwaiste Mary Lennox kommt 1947 aus dem bürgerkriegsgeschüttelten Indien in das verwunschene Schloss Misselthwaite im englischen Moor. Weder der strenge Hausherr Archibald noch das mürrische Personal kümmern sich um sie, und nächtliche Geisterstimmen machen ihr Angst. Doch entdeckt sie bei ihren einsamen Streifzügen einen geheimen Garten, der ihr Zufluchtsort wird. Das neugierige Mädchen kann es auch nicht lassen, im Schloss umherzustreifen: In einem verbotenen Flügel stößt sie auf den Sohn des Hausherrn, den arroganten Colin, der sich für bucklig und gelähmt hält und durch seinen überstrengen Vater von der Außenwelt abgeschottet wird. Die vermeintlichen Geister entpuppen sich als seine Schmerzensschreie.

Gemeinsam mit einem treuen Dienstbotensohn, der den merkwürdigen Namen Dickon trägt, beschließt Mary, den Jungen aus seiner Isolation zu reißen, denn der Teich im geheimen Garten soll heilende Kräfte besitzen. Das ungleiche Trio (samt zugelaufenem Hund) wächst zu einem nicht konfliktfreien Freundeskreis heran. Es kommt zu einem turbulenten Showdown, als das Schloss abbrennt und der vermeintlich verstorbene Sohn auf eigenen Beinen seinem Vater entgegenhumpelt…

Der Buchklassiker Der geheime Garten (1911) von Frances Hodgson Burnett (die auch den Kleinen Lord „verbrochen“ hat), liegt nunmehr in der elften Verfilmung vor. Regisseur Marc Munden verlegt die Handlung aus der spätviktorianischen Ära in die düstere Atmosphäre der unmittelbaren Nachkriegszeit. Dadurch versteht er es, der rührseligen Handlung mehr zeitgeschichtliche Tiefe zu verleihen und die vielen Verwaisungen zu motivieren. Denn nicht nur Marys Eltern sind tot, sondern auch Colin hat seine Mutter verloren (und hasst sie dafür), und der junge Dickon hat ebenfalls keinen Vater mehr.

Erwachsenwerden im Farbenrausch

Der Film will mit überwältigenden Farb- und Lichteffekten seine Vorgänger übertrumpfen: Er beginnt im lichtdurchfluteten Indien, das mit dem finsteren, heruntergekommenen englischen Schloss wirkungsvoll kontrastiert. Der geheime Garten dagegen ist in einen nahezu surrealistischen Farbenrausch getaucht, der bisweilen mit allzu plakativen Effekten aufwartet: Als Mary in ein Internat geschickt werden soll, verwelken bei ihrem „Trauerzug“ beispielsweise sämtliche Riesenpflanzen um sie herum…

Das emotionale (Riesen-)Wachstum der beiden Hauptfiguren Mary und Colin wird hingegen überzeugend vermittelt. Besonders hervorzuheben ist die Darstellung des vermeintlich gelähmten Jungen durch den begabten vierzehnjährigen Schauspieler Edan Hayhurst, der Colins Metamorphose vom hypochondrischen Schreihals zum lebenslustig durch den Garten hüpfenden Teenager beeindruckend verlebendigt. Die kleine Dixie Egerickx als Mary neigt dagegen ein wenig zum Überchargieren: Das wiederholte „Ich bin doch kein Kind mehr!“ einer etwa Zehnjährigen wirkt ein wenig aufgesetzt. (Doch ist das freilich typisch für dieses Alter…) Unter den erwachsenen Darstellern brillieren Colin Firth als neurotischer Schlossherr und Julie Walters in der Rolle der herzlosen Hausverwalterin Mrs. Medlock.

Im Vergleich zum Buch wartet diese Verfilmung zwar mit einigen reißerischen Elementen auf: So gibt es bei Burnett keinen Schlossbrand, und der Hund mit der verwundeten Pfote, der Mary den Weg in den Zaubergarten weist, ist ebenfalls neu. Dennoch hat Marc Munden es geschafft, die arg sentimentale Romanhandlung mit zeitlosen Problemen des Erwachsenwerdens aufzuwerten: Vater-Sohn-Konflikt, Verlusterfahrungen, Angstbewältigung… Wegen der allzu düsteren, furchterregenden Atmosphäre des Schlosses sollte der Film vielleicht doch noch nicht Sechsjährigen zugemutet werden, obwohl die FSK ihn für dieses Alter freigibt.