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Lass, Jakob (Regie): Tiger Girl

„Wie sehr haben wir Lust, heute jemandem in die Fresse zu schlagen?“ – Der deutsche Jugendfilm kann auch anders

von Julia Adrian und Pia Wilms (2017)

 „Du bist viel zu lieb! Du bist zu höflich. Höflichkeit ist eine Art Gewalt gegen dich selbst!“ – Das ist das Lebensmotto der rebellischen ‚Tiger‘, aus dessen Geist sie aus der pflichtbewussten Maggie die selbstbewusste, aber leider auch sehr gewaltbereite ‚Vanilla the Killa‘ formen: Diese ‚Umbenennung‘ markiert also eine Art Taufe und sie ist zugleich der Beginn einer zunächst unwahrscheinlichen Freundschaft, denn ‚Tiger‘ (Ella Rumpf), deren bürgerlicher Name nicht genannt wird, und Maggie (Maria Dragus) sind zunächst gegensätzlich wie Tag und Nacht; der sowohl optische als auch charakterliche Kontrast zwischen den jungen Frauen ist kaum zu übersehen: kurzes schwarzes vs. langes blondes Haar, ‚toughes Streetgirl’ vs. Auszubildende, Impulsivität vs. Vernunft. Doch schon nach nur wenigen Zusammentreffen verwischen die Gegensätze, denn ‚Tiger‘ zieht die zunächst noch unsichere Maggie mit in ihre chaotische Welt, wobei die Schülerin ‚Vanilla‘ ihre Lehrerin in punkto street credibility zusehends zu übertreffen beginnt…

Auf Start zurück: Das schüchterne, blonde Mädchen Maggie träumt davon, als Polizistin anderen Menschen zu helfen, doch ihr Traum scheitert schon an der Aufnahmeprüfung. Als Alternative entscheidet sie sich für einen Ausbildungslehrgang zur Security-Fachkraft. Gleichzeitig lernt sie ‚Tiger‘ zufällig auf der Straße kennen – und diese Begegnung verändert ihre Welt und sie selbst, denn ‚Tiger‘ lebt ein gänzlich anderes Leben: Sie wohnt mit zwei drogenaffinen Freunden illegal auf einem Dachboden und lebt in den Tag hinein. Ihr Auftreten weist nur teilweise sympathische Züge auf, sie bleibt im Verlauf der Geschichte seltsam (und sehr gelungen) ambivalent. Davon und überhaupt von der rotzfrechen Art ihrer neuen Freundin angezogen, beginnt ‚Vanilla‘ sich – garniert mit frechen Kommentaren – buchstäblich durch ihr neues Leben zu boxen. Doch die Lust zur willkürlichen Aggression wächst und schon bald kennt ihre Gewaltbereitschaft keine Regeln oder Grenzen mehr…

Es ist diese anfänglich nur gegen Sachen und durchaus mit einem Augenzwinkern inszenierte Gewalt, die sich im Laufe des Films ins Brutale steigert, und den dritten Spielfilm des Regisseurs Jakob Lass mindestens fragwürdig erscheinen lässt, auch wenn die Frage der Angemessenheit von Gewalt im Film selbst verhandelt wird. Trotzdem gelingt es „Tiger Girl“ insgesamt, die Zuschauer*in schnell ins Geschehen zu ziehen und bietet viel Raum, sich am Spiel mit der Absurdität des Alltäglichen zu erfreuen. Konstitutiv für diese inszenierte Authentizität ist Jakob Laas‘ FOGMA-Konzept, das dazu führt, dass in Anlehnung an die berühmten DOGMA-Regeln die beiden Hauptdarstellerinnen z.B. nur mit einer Handkamera verfolgt werden und auf Studioszenen verzichtet wird; insofern wird die Großstadt in den besten Momenten von „Tiger Girl“ selbst zum Akteur. Doch insgesamt gelingt es trotz oder wegen aller Spontanität nicht, die Geschichte zu einem überzeugenden Ende zu führen. – Wir warten gespannt auf die bisher nicht angekündigte Fortsetzung „Vanilla Girl“.