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Yildirim, Özgür (Regie): Boy 7
Resozialisierung 2.0 – Wer bin ich wirklich?
„Boy 7“ auf der Suche nach sich Selbst
von Fariba Adib Eslamieh, Janna Kratz und Jasmin Nasilowski (2017)



„Ich schreibe das hier alles für den Fall, dass ich mich so wie die anderen irgendwann nicht mehr erinnern kann. Falls das passiert sein sollte, heißt das, mein Plan ist danebengegangen. Dann hoffe ich, dass du jetzt der Richtige bist, der das liest. [...] Denn ich bin du.“

Ein junger Mann wacht in einem U-Bahn Schacht auf. Wo ist er? Und warum will ihn ein Polizist festnehmen? Er flüchtet. Er folgt einem Hinweis in seiner Hosentasche zu einem Restaurant. War er schon mal hier? Anscheinend ja, denn in einem Toilettenspülkasten findet er ein Buch. Sein Buch. Plötzlich steht dort auch noch ein Mädchen. Wer ist sie und wieso trägt sie eine Zeichnung von ihm bei sich? Er betrachtet das Buch genauer. Je mehr er liest, desto mehr erfährt er über sich und sein Leben bei der Kooperation X, wo nicht alles so ist, wie es scheint.

Der Film „Boy 7“ beginnt seine Erzählung in der Gegenwart und mithilfe von Rückblenden präsentiert er die Ereignisse, die dazu führten, dass Sam (David Kross) und Lara (Emilia Schüle) ihr Gedächtnis verloren haben. Die insgesamt komplexe Komposition der Handlung trägt maßgeblich dazu bei, dass dieser Thriller bis zum Ende spannend bleibt.

Während der zugrundeliegende Roman der niederländischen Autorin Miriam Mours in einer befremdlich anmutenden, glühenden Graslandschaft beginnt, startet die Verfilmung in einer vertrauteren Umgebung, einer U-Bahn-Haltestelle. Diese und weitere gut gelungene Anpassungen ermöglichen dem jugendlichen Publikum eine bessere Identifikation mit den Protagonisten und dem gesamten Geschehen. Einige Szenen sind jedoch recht unrealistisch geraten: So kann beispielsweise Sam unbehelligt ein Zweiergespräch führen, während die Jugendlichen in strenger Formation vor dem Gebäude der Kooperation X stehen und der Leiter der Anstalt ihnen Neuigkeiten verkündet. Angesichts der gnadenlosen Disziplin, die ansonsten regiert, erscheint dies wenig plausibel und widerspricht der inneren Logik des Films.

Während die Romanvorlage in entfernter Zukunft spielt, holt der Regisseur Özgür Yildirim in der Adaption das Geschehen in die Gegenwart und somit auf gefestigteres Terrain des deutschen Films. Auch wenn er die aktuelle Dystopie-Welle aufgreift, trägt der Film die Handschrift des Regisseurs, die bereits in seinen letzten Filmen „Chiko“ und „Blutbrüdaz“ erkennbar war. Besonders auffällig ist die eigenwillige Kameraführung: Sehr häufig werden stark geneigte Einstellungen mit einer hohen Schnittfrequenz gezeigt. So entsteht eine eigene Dynamik, die eine hektische und emotional aufgeladene Atmosphäre zur Folge hat. Diese wird unmittelbar auf die Zuschauer übertragen, sodass kaum Raum für die eigene Fantasie bleibt. Unterstützt wird die Zuschauerlenkung durch die musikalische Untermalung: Diese besteht meist aus elektronischen Tönen und Geräuschen, die oft etwas übertrieben und zu klischeehaft klingen. In der Kombination ist das dann doch manchmal zu viel für den Zuschauer.

Durch die hervorragende Besetzung des Films sieht man jedoch über diese kleineren Schönheitsfehler gerne hinweg: Die jungen Hauptdarsteller David Kross („Krabat“, „Der Vorleser“, „Gefährten“) und Emilia Schüle („Freche Mädchen“, „Vaterfreuden“, „Smaragdgrün“) sind im deutschen Kino und teilweise auch international bereits bekannt und haben sich auch bei jüngeren Zuschauern einen Namen gemacht. Beide überzeugen durchweg in ihren Rollen und wirken sehr authentisch.

Trotz verhältnismäßig kleinem Budget und wenigen Special Effects muss sich der Film keinesfalls hinter dem amerikanischen Dystopiekino, wie beispielsweise „Die Bestimmung“, verstecken und erinnert stellenweise ein wenig an eine Jugendfilmversion von „Die Bourne Identität“ oder „Memento“.

Insgesamt lässt sich sagen, dass Yildirim einen spannenden Thriller für ein junges Publikum ab 13 Jahren geschaffen hat. Durch die unstetige Kameraführung und die schnellen Einstellungswechsel gelingt es ihm, den Spannungsbogen zu halten und die Emotionen zum Zuschauer zu transportieren, wenn auch auf Dauer die überambitionierte Filmsprache gewöhnungsbedürftig ist. Themen wie Selbstfindung, Datenmissbrauch und sozialkritische Aspekte schwingen in dieser Romanadaption mit, spielen aber teilweise nur eine untergeordnete Rolle. Jugendliche Zuschauer können jedenfalls spannende 100 Minuten Filmspaß erwarten, die sie nicht enttäuschen werden.